Heft 
(1892) 70
Seite
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Deutsche Rundschau.

eine solche Inkonsequenz weniger beklagen, im Gegentheil es vielleicht eher als ein Glück be­zeichnen müssen, daß im großen Ganzen das Reichsgericht sich in seiner Rechtsprechung nicht sowohl und jedenfalls nicht ausschließlich von wissenschaftlicher Theorie hat leiten lassen, als vielmehr das Gesetz selbst zur Richtschnur genommen hat. Und deswegen macht das Sündenregister, in welchem Birkmeyer seine Ausführungen zusammenfassend beschließt, keinen allzu niederschmetternden Eindruck. Uebrigens ist das Buch mit Ruhe, Ernst und Sachlichkeit geschrieben; nur selten findet man eine schärfere Ausdrucksweise, und man glaubt gern den Ver­sicherungen des Vorworts, daß es dem Vers, keine Freude gewesen ist, das höchste Gericht im deutschen Reiche bekämpfen zu müssen. Der Verfasser hat ausschließlich für den sachverstän­digen Kenner des Strafrechts geschrieben. Daß die von ihm bekämpfte Rechtsprechung des Reichsgerichts auch zu bedenklichen Consequenzen für die literarischen Kreise führen und das vor­liegende Buch auch für diese besonderen Werth erlangen kann, sehen wir in dem seiner Zeit in der Presse vielbesprochenen Urtheil des Reichs­gerichts vom 16. Februar 1891, in welchem der Corrector eines strafbaren Zeitungsartikels als Theilnehmer bestraft ist, weil er den straf­baren Inhalt gekannt und also in bewußter Weise zur Herstellung der Druckschrift mit­gewirkt habe.

Geschichte des Kammergerichts in Brandenburg-Preußen, bearbeitet von Dr. zur. Friedrich Holtze. Zweiter Theil: Das Kammergericht von 1540 bis 1688. Mit dem Porträt von M. F. Seidel. Berlin, Ver­lag von Franz Wahlen, 1891.

Der erste Band dieses Werkes ist in Band I^VI, S. 319 derRundschau" 1891 angezeigt. In dem vorliegenden mit anerkennenswerther Pünktlichkeit erschienenen zweiten Bande wird die Geschichte des Kammergerichts bis zum Tode des großen Kurfürsten weitergeführt, während es die ursprüngliche Absicht des Verfassers war, diesen Band erst mit der Thronbesteigung Friedrich's des Großen abzuschließen. Lediglich der äußerliche Grund, sein Buch nicht zu sehr anschwellen zu lassen, hat den Verfasser zu dieser Aenderung seines Planes veranlaßt. Die Erzählung umfaßt die Regierungszeit der Kur­fürsten Joachim II., Johann Georg, Joachim Friedrich, Johann Siegismund, Georg Wilhelm und Friedrich Wilhelm. Unter fast allen Re­genten finden wir, besonders zu Beginn ihrer Regierungen, Versuche und Anläufe, die Ver­fassung des Kammergerichts zu ändern. Alle diese Versuche scheitern. Nur in geringen und unter­geordneten Punkten wird an dem durch die Kammergerichtsordnung von 1540 geschaffenen

Zustande hier und da geändert. Der Verfasser schildert nach den Akten und sonstigen Urquellen die verschiedenen Reformversuche, ihren Anlaß und ihre Urheber, meist Kanzler oder Vice- kanzler, melche zugleich Vorsitzende des Kammer­gerichts waren. Er giebt eingehende Mitthei­lungen über die bedeutenderen Mitglieder des Kammergerichts, die Grundsätze, welche bei Besetzung der Stellen obwalteten, die Be­ziehungen zwischen den adligen und bürger­lichen Kammergerichtsräthen u. dgl. Auch der vorliegende Band enthält daneben mancherlei für den Kulturhistoriker werthvolle Einzelheiten, so z. B. viele Züge aus dem damaligen Ber­liner Leben, die ganze Schilderung der Thätig- keit des Kammergerichts zur Zeit des dreißig­jährigen Krieges, während dessen es fast an­dauernd seinen Sitz in Berlin behielt, nur einige Monate nach Bernau übersiedelte. Wäh­rend die Stellung der Kammergerichtsräthe im Allgemeinen eine sehr angesehene und gut be­zahlte war, berührt es, wie der Vers. S. 122 mit Recht bemerkt,peinlich, wenn man liest, wie kleine Edelleute dem märkischen Kanzlerein schlechtes Reh" zuschicken und an diese Sendung die Bitte um Beantwortung irgend einer- schwierigen Lehnsrechtsfrage knüpfen und diese Bitte mit Dankfür das stattliche Reh" ge­währt erhalten." Von weitgehendem allgemeinen Interesse erscheint die Darstellung von den Streitigkeiten zwischen dem Kammergericht und dem märkischen Landadel in den ersten Regie­gierungsjahren des großen Kurfürsten, den letzten des dreißigjährigen Krieges, über die von den Grundbesitzern beanspruchten Stundungen, Er­lasse und Ermäßigung schuldiger Hypotheken­zinsen. Mit lobenswertster Pflichttreue wies das Kammergericht hier die weitgehenden An­sprüche der damaligen Agrarier grundsätzlich zurück, und sprach sich nur für billige Behand­lung derartiger Angelegenheiten von Fall zu Fall aus. Der jugendliche Kurfürst gab zwar dem Kammergericht theoretisch Recht, beschämte es aber doch tief durch die bekannte Aufhängung des Bildes von Kambyses und dem bestochenen Richter im Sitzungssaals. (20. April 1643.) Das auch in derRundschau" eingehend be­sprochene meisterhafte Werk Stölzel'sBran­denburg-Preußens Rechtsverwaltuug undRechts- versassung" ist von dem Verfasser selbstverständ­lich, soweit es anging, benutzt worden, wobei hier und da Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und Stölzel hervortreten, auf welche im Einzelnen einzugehen hier kein Anlaß vorliegt. Nur müssen wir bemerken, daß wir Stölzel's Urtheil über den Kanzler Christian Distelmeier denn doch wohl für das richtigere halten. Auch der jüngere Distelmeier war, wenngleich seinem Vater Lamprecht nicht ebenbürtig, ein bedeuten­derer Mann, als Holtze annimmt.