Literarische Notizen.
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Quellen zur deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte. Zusammengestellt und mit Anmerkungen versehen von H- O. Lehmann, Prof, in Marburg. Berlin, Verlag von Otto Liebmann. 1891.
Oscar Jäger sagt in seinen „Bemerkungen über den geschichtlichen Unterricht": „Dort — (bei der Lectüre griechischer und römischer Historiker) — schaut der Schüler das Leben einer interessanten Vergangenheit unmittelbar und mit eigenen Augen;... er erarbeitet sich den intellektuellen Genuß, den dieses Betrachten längst entschwundenen Lebens gewährt, während er dem Geschichtsvortrage bloß folgen kann, gelangweilt, wenn er langweilig, neugierig, wenn er anziehend ist; aber in jedem Falle ohne jene intensive Freude, welche die ernste, productive Arbeit gegenüber der bloß receptiven begleitet." In dem Bestreben, den Schüler in die Quellen selbst einzuführen, ist im Laufe der Jahre eine Reihe von Hilfsmitteln geschaffen worden, welche dem historischen Vortrage als Grundlage dienen sollen. Das Beispiel der höheren Schulen hat auf der Universität Nachahmung gefunden; auch für den akademischen Unterricht besitzen wir jetzt eine Anzahl von „Quellenbüchern". In den Stücken, welche Lehmann in chronologischer Folge bietet, stellen sich die Marksteine der Entwicklung des deutschen Reiches und Rechtes dar von Cäsar und Tacitus an bis zu den Zeiten des norddeutschen Bundes und des neuen Reiches. Sollten die Quellen den Zeitraum von fast zwei Jahrtausenden umfassen und dabei den Umfang eines mäßig großen Buches nicht überschreiten, so mußte der Vers, aus den Gesetzbüchern und Urkunden nur das Wichtigste herausheben, und das ist überall mit richtigem Tacte geschehen. Auch wer einmal einen Paragraphen oder eine ihn gerade interessirende Urkunde nicht darin findet, wird den Herausg. darum nicht tadeln dürfen. Man kann es in solchen Fällen nicht Jedem recht machen. — Im Vorwort ist kurz angegeben, aus welchen Werken die Stücke genommen sind, manchmal zu kurz; denn eine Angabe wie „Neue und vollständigere Sammlung" genügt weder für den Studenten noch den Geschichtsfreund. Die Texte sind, so viel wir sehen, recht correct; bei der Goldnen Bulle hätte wohl auf Harnack's Ausgabe verwiesen werden können, und im Wormser Concardat, dessen kaiserliche Ausfertigung noch im Original erhalten ist, sind manche Stellen nach der Publication von Sickel-Breslau zu verbessern. — Wir wünschen, daß das Buch auch außerhalb der Universität Leser finde und zur Kennt- niß der deutschen Vergangenheit das Seinige beitrage.
Die Lehre von der Theilnahme und die Rechtsprechung des deutschen Reichsgerichts. Kritische Studien von Dr. Karl Birkmeyer, ordentlichem öffentlichen Professor der Rechte an der Universität zu München. Berlin, Otto Liebmann. 1890.
Solange es Strafgesetze und eine Wissenschaft des Strafrechts gibt, sind die Ansichten darüber auseinandergegangen, ob bei Bestimmung des Begriffs der strafbaren Handlungen,
bei Bemessung der Strafe mehr die subjective Seite, d. h. der auf Verübung der Strafthat gerichtete Wille des Thäters, oder die objective Seite, der erzielte verbrecherische Erfolg, in Betracht zu ziehen ist. Auch in der Lehre von der Theilnahme am Verbrechen, d. h. von der Verübung einer strafbaren Handlung durch mehrere Personen (verschiedene Thäter sMit- thäterj, Thäter und Gehilfe, Thäter und Anstifter) wird von einem Theil unserer Rechtslehrer das entscheidende Gewicht auf den Erfolg der Thätigkeit der Theilnehmer gelegt — objective Theilnahmetheorie —, während von anderen, den Vertretern der subjectiven Theilnahmetheorie, der Unterschied zwischen Thätern und Theilnehmern und der verschiedenen Arten von Theilnehmern in der verschiedenen Willensrichtung der zu der Begehung der strafbaren Handlung zusammenwirkenden Personen gefunden wird. Das eigentliche Haupt der letzteren Schule ist neuerdings von Buri. Der Zweck der vorliegenden, außerordentlich gründlichen und scharfsinnigen Abhandlung ist einmal, diese Theorie v. Buri's zu widerlegen. Abgesehen von diesem rein wissenschaftlichen verfolgt Birkmeyer aber einen praktischen Zweck- Er legt dar, daß unser höchster deutscher Gerichtshof wesentlich unter dem Einfluß v. Buri's (vgl. S. 230. 231) in der Rechtsprechung sich grundsätzlich auf den Boden der subjectiven Theilnahmetheorie gestellt habe. Dies hält Birkmeyer an sich für unrichtig. Es befremdet ihn aber umsomehr, als unser deutsches Strafgesetzbuch in den von der Theilnahme handelnden 47 bis 50 unzweifelhaft die Strafbarkeit der Theilnehmer nach dem von ihnen erreichten Erfolge, d. h. nach objectiven Merkmalen, beurtheilt wissen will. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts befindet sich also im Widerspruch mit dem Strafgesetzbuchs selbst. Das Gericht glaubt diesen Widerspruch rechtfertigen zu können durch Hinweis auf eine Stelle der Motive zum revidirten Entwurf des Strafgesetzbuchs, in welcher es heißt, daß bei der Be- urtheilung der Theilnehmer „nicht sowohl das Maß und die Bedeutung der Mitwirkung zu der That, als vielmehr die Absicht, aus welcher sie entsprungen, das wesentlich entscheidende Moment bilden wird." Mit Recht macht Birkmeyer geltend, daß, wo, wie hier, der Wille des Gesetzgebers im Gesetz selbst einen klaren und unzweideutigen Ausdruck gefunden, eine einzelne Stelle der Begründung nicht gegen das Gesetz in's Feld geführt werden kann. — Ist also dieser grundsätzliche Standpunkt des Reichsgerichts ein irriger, so ist es, wenn man, wie Birkmeyer, die gesammte Rechtsprechung des Reichsgerichts auf diesem Gebiete unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten beurtheilt, weiterhin bedauerlich, daß dieser Standpunkt keineswegs beharrlich und mit Folgerichtigkeit sestgehalten wird. An zahlreichen Urtheilen des Reichsgerichts wird vom Verfasser mit Erfolg der Nachweis geführt, daß ihre Begründung mit der subjectiven Theilnahmetheorie nicht vereinbar ist. Stellt man sich aber auf den Boden der Praxis, so wird man allerdings