Heft 
(1892) 70
Seite
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Deutsche Rundschau.

ungewöhnlich guten Laune. Daß dem so war, hatte, wie bei Wilibald Schmidt, darin seinen Grund, daß er all' die Zeit über sein Steckenpferd tummeln und sich einiger schon erzielter Triumphe rühmen durste. Vogelfang war nämlich, unmittelbar nach dem zu seinen und Mr. Nelson's Ehren stattgehabten Diner, in den für Treibet zu erobernden Wahlkreis abgegangen, und zwar um hier in einer Art Vorcampagne die Herzen und Nieren der Teupitz-Zossener und ihre muthmaßliche Haltung in der entscheidenden Stunde zu prüfen. Es muß gesagt werden, daß er, bei Durchführung dieser seiner Ausgabe, nicht bloß eine bemerkenswerthe Thätigkeit entfaltet, sondern auch beinahe täglich etliche Telegramme geschickt hatte, darin er über die Resultate seines Wahlfeldzuges, je nach der Bedeutung der Action, länger oder kürzer berichtete. Daß diese Telegramme mit denen des ehemaligen Bernauer Kriegscorrespondenten eine verzweifelte Ähnlichkeit hatten, war Treibel nicht entgangen, aber von diesem, weil er schließlich nur auf das achtete, was ihm persönlich gefiel, ohne sonderliche Beanstandung hingenommen worden. In einem dieser Telegramme hieß es:Alles geht gut. Bitte, Geld­anweisung nach Teupitz hin. Ihr V." Und dann:Die Dörfer am Schermützel- see sind unser. Gott sei Dank. Ueberall dieselbe Gesinnung wie am Teupitzsee. Anweisung noch nicht eingetroffen. Bitte dringend. Ihr V." . . .Morgen nach Storkow! Dort muß es sich entscheiden. Anweisung inzwischen empfangen. Aber deckt nur gerade das schon Verausgabte. Montecuculi's Wort über Krieg­führung gilt auch für Wahlseldzüge. Bitte Weiteres nach Groß-Rietz hin. Ihr V." Treibel, in geschmeichelter Eitelkeit, betrachtete hiernach den Wahlkreis als für ihn gesichert, und in den Becher seiner Freude fiel eigentlich nur ein Wermuthstropfen: er wußte, wie kritisch ablehnend Jenny zu dieser Sache stand, und sah sich dadurch gezwungen, sein Glück allein zu genießen. Friedrich, über­haupt sein Vertrauter, war ihm auch jetzt wiederunter Larven die einzig fühlende Brust", ein Citat, das er nicht müde wurde, sich zu wiederholen. Aber eine gewisse Leere blieb doch. Auffallend war ihm außerdem, daß die Berliner Zeitungen gar nichts brachten, und zwar war ihm dies um so auf­fallender, als von scharfer Gegnerschaft, allen Vogelsang'schen Berichten nach, eigentlich keine Rede sein konnte. Die Conservativen und Nationalliberalen, und vielleicht auch ein paar Parlamentarier von Fach, mochten gegen ihn sein, aber Was bedeutete das? Nach einer ohngefähren Schätzung, die Vogelfang angestellt und in einem eingeschriebenen Briefe nach Villa Treibel hin adressirt hatte, besaß der ganze Kreis nur sieben Nationalliberale: drei Oberlehrer, einen Kreisrichter, einen rationalistischen Superintendenten und zwei studirte Bauergutsbesitzer, während die Zahl der Orthodox-Conservativen noch hinter diesem bescheidenen Häuflein zurückblieb.Ernst zu nehmende Gegnerschaft, vacat." So schloß Vogelsang's Brief, undvacat" war unterstrichen. Das klang hoffnungsreich genug, ließ aber, inmitten aufrichtiger Freude, doch einen Rest von Unruhe fort- bestehen, und als eine runde Woche seit Vogelsang's Abreise vergangen war, brach denn auch wirklich der große Tag an, der die Berechtigung der instinctiv immer wieder sich einstellenden Aengstlichkeit und Sorge darthun sollte. Nicht unmittelbar, nicht gleich im ersten Moment, aber die Frist war nur eine nach Minuten ganz kurz bemessene.