Heft 
(1892) 70
Seite
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Architektur und Plastik.

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Dem Geistesfrühling folgte ein halbes Jahrhundert deutscher Geschichte, in welchem das Gefühl überwog, daß die öffentlichen Zustände dem nicht entsprächen, was das Volk gethan und gelitten hatte, bis nach langen unbehaglichen Zuständen auf neuen Schlachtfeldern dem Vaterlande endlich der Preis errungen wurde, wo­für die Freiheitshelden geblutet hatten. Politische Arbeit war nun die Haupt­aufgabe des Volkes, und mit hochherzigen Fürsten, großen Staatsmännern und Feldherren an seiner Spitze hat es in Krieg und Frieden ein Werk zu Stande gebracht, das zu den ruhmreichsten Denkmälern der Menschengeschichte gehört. Der Ernst der Tagesarbeit nahm alle Geisteskräfte in Anspruch und die Ent­scheidungen waren zu gewaltig, zu rasch, um in Werken der Kunst entsprechenden Ausdruck zu finden. Auch ist ja das menschliche Herz so geartet, daß es durch das Streben nach den höchsten Lebensgütern mehr begeistert wird als durch den Besitz. Sehen wir, wie rathlos man noch immer den höchsten Aufgaben schöpfe­rischer Thätigkeit gegenübersteht, so müssen wir erkennen, daß die Zeit noch nicht reis ist; es ist noch nicht gelungen, dem Ebenbürtiges zu leisten, was bei sehr- beschränkten Mitteln und ohne persönliche Herrschergunst in der Zeit nach den Freiheitskriegen gebaut ist. Es wird aber die Zeit kommen, da wir in dank­barem Bewußtsein dessen, was in der glorreichen Zeit unseres ersten Kaisers dem deutschen Volke zu Theil geworden ist, der größten Zeit unserer vaterländischen Geschichte Würdiges zu Stande bringen.

In monumentalen Gemälden, welche sich an Cornelius' größte Schöpfungen würdig anreihen, hat die deutsche Kunst bei uns schon eine großartige Sieges­feier begonnen. Auch Architektur und Plastik werden wieder den alten Bund schließen, so daß die Bildhauerwerke nicht nur gelegentlich zu dekorativen Zwecken verwerthet werden, sondern in organischer Verbindung mit dem Bau demselben eine höhere Weihe geben. Je würdiger aber der Bau sich erhebt, den Kaiser Wilhelm I. dem geeinigten Volke gegründet hat, um so fester soll es selbst zu einem unlösbaren Ganzen zusammenwachsen.

So treten wir unmittelbar in den Kreis der Gedanken und Empfindungen ein, welche uns am heutigen Tage bewegen. Wir wissen Alle, mit wie jugend­licher Begeisterung unser Kaiser und König die Lebensaufgabe ergriffen hat, das von Großvater und Vater gegründete Reich mit fester Hand zu leiten, stark zu erhalten und zu immer größerem Wohlstände zu führen. Für dies Gedeihen soll auch der Prachtbau eine neue Bürgschaft, ein glückverheißendes Symbol sein.

Unsere Ausgabe ist, die geistigen Kräfte zu pflegen, deren in Krieg und Frieden das Reich bedarf. Wir können also den Geburtstag unseres Herrschers nicht besser feiern als mit dem Gelöbniß, den Geist, aus welchem unsere Universität geboren ist, den Geist der Gottesfurcht, der Vaterlandsliebe und der Liebe zur Wissenschaft in der Jugend zu pflegen und mit allen Kräften dafür einzutreten, daß die innere Einheit, die das Volk durch die Hohenzollern erlangt hat, unter Gottes Schutz immer fester und fruchtbarer werde, und so schließen wir mit dem aus dem Herzen kommenden Segensrufe: Gott erhalte und segne unfern Kaiser und König, Gott segne den Kaiser und Sein ganzes Haus!

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