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Deutsche Rundschau.
die eine von allen Geschmacksrichtungen unabhängige Gültigkeit in sich tragen. Gibt es deren nicht aus allen Gebieten menschlicher Erkenntniß und Kunst? Wir nennen Aristoteles, den Schöpfer der Logik, und Niemandem fällt es ein, nach anderen Grundregeln Begriffe ordnen, Urtheile und Schlüsse bilden zu Wollen. Euklides' Lehrsätze sind für alle Zeitalter maßgebend geblieben, ohne daß daraus eine Gebundenheit der Wissenschaft folgte. Es gibt Normen, die nicht erfunden, sondern gefunden werden, und, einmal gefunden, ein bleibendes Besitzthum der Menschheit sind.
Was Schinkel that, war eine Befreiung des Geistes im Bilden und Denken. Er war kein Mann, der den Flügelschlag der Geister hemmen, kein einseitiger Pedant, der die Kunst in akademische Geleise einfahren wollte. Er wollte nur den Boden rein machen von dem Wüste willkürlicher Mischformen, welche wie mißverstandene Wörter fremder Sprachen ein unerträgliches Kauderwelsch bilden; er wollte nach den Normen des Alterthums, die ebenso unvergänglich sind wie die Denkregeln des Aristoteles, Maß und Ordnung, klare Gliederung, einfache Größe, innere Wahrheit in Verwendung aller Bauglieder. Es ging ein Zug der Freiheit durch sein Streben, denn nichts widerstrebt dem angeborenen und vollberechtigten Unabhängigkeitssinne mehr, als wenn wir dem aus willkürlicher Geschmacksrichtung Entstandenen die anerkennende Zustimmung geben sollen, während man jedem Werke, in dem ein Geist gesetzmäßiger Ordnung herrscht, mit Freude huldigt. Mit Schinkel verständigte sich Goethe leichter als mit Schadow. Er bewunderte an den Entwürfen zum Museum und zum Schauspielhause die geniale Freiheit, mit welcher die hellenischen Baugedanken in die Gegenwart eingeführt waren. Es waren durchaus neue Schöpfungen, und doch hatte man wieder, wie in der Antike, den Eindruck von Würde und einfacher Größe, einen geistigen Eindruck, welcher über die bescheidenen Maße weit hinausging.
Die rasche Entwicklung unserer Stadt ist für ihre öffentlichen Bauten nicht günstig gewesen. Aller Orten wurden die Räume zu eng; anstatt den neuen Bedürfnissen durch zweckentsprechende Neubauten zu genügen, wurden zu gegenseitigem Nachtheile die alten den neuen angehängt; Prachträume mußten wie Polterkammern ausgebeutet werden, so daß Schinkel mit Entsetzen zurückfahren Würde, wenn er jetzt das Innere seines Museums beträte, das einst das unvergleichliche Kleinod unserer Stadt war.
Wir pflegen es als ein Entwicklungsgesetz der Menschengeschichte anzusehen, daß die Blüthe von Wissenschaft und Kunst mit den Höhepunkten nationaler Kraftentwicklung zusammentreffe. Das ist in vollem Maße der Fall gewesen, als sich unser Volk in den Freiheitskriegen emporhob und ein hoher Sinn alle Gebiete des geistigen Lebens durchdrang. Es war die gesunde Gegenwirkung gegen die Alles ausgleichende Revolutionszeit, daß man der Eigenart von Land und Volk mit sinniger Aufmerksamkeit nachging und jede volkstümliche Ueber- lieferung neu belebte. Das erstrebten jene Meister geschichtlicher Forschung, zu denen wir wie Epigonen hinaufschanen, Niebuhr, Savigny, Eichhorn, Schleiermacher, Böckh, die Grimms, Wilhelm von Humboldt. In gleichem Geiste Wirkten als schöpferische Meister Cornelius und Schinkel. Das waren Blüthen einer großen Zeit, deren Werke noch die beiden letzten Jahrzehnte von Goethe's Leben erfreuten.