Architektur und Plastik.
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sie noch heute auf unseren Plätzen und Straßen sehen. Aber man geht Lheil- nahmlos daran vorüber, und wenn es geschichtliche Persönlichkeiten sind, welche die Bedeutung eines Bauwerkes kennzeichnen sollen, berühmte Staatsmänner und Gelehrte, so bedauert man, daß dieselben ohne Zusammenhang, oben in windiger Höhe ausgestellt, sich der Betrachtung entziehen und jeden Kunstgenuß unmöglich machen.
Mit der Lösung aus den Banden der Architektur ist der Plastik kein Dienst geleistet worden. Ja, wir können behaupten, in unbequemen, geometrisch zugemessenen Räumen hat sie ihre freiesten, kühnsten, großartigsten Darstellungen von Götter- und Heroengeschichte geschaffen, und bei dem Tempelgiebel weiß man nicht zu sagen, ob der Architekt dem Bildhauer den Platz Herrichten wollte, wo er seine geniale Kraft am glänzendsten entfalten konnte, oder aber der Bildhauer dem Architekten zu Liebe den leeren Raum füllte.
Diese geschwisterliche Einordnung einer Kunst in die andere, diese für beide fegenbringende Gegenseitigkeit ist nur bei den Griechen zu Stande gekommen, wie wir es jetzt erkennen, seit wir aus der hellenistisch-römischen Tradition, welcher die Renaissance folgte, wie durch ein Zeitalter der Reformation, zu der ursprünglichen, echten Ueberlieferung wieder hindurchgedrungen sind. Es war eine Epoche unseres ganzen Kulturlebens, als die Alterthümer von Athen durch Stuart und durch Elgin erst zu wissenschaftlicher Erkenntniß und dann zur Anschauung gelangten, eine zweite, als die künstlerische Werkthätigkeit an griechische Vorbilder anknüpfte. Es ist der Ruhm unserer Stadt, daß dies hier geschehen ist, und zwar nicht in der geistlosen Weise, wie Rom die Griechen nachahmte. Berlin hatte zu viel eigene Geschichte durchlebt, um auch in der Kunst das Vaterländische aufgeben zu können. Darum erhob sich Gottfried Schadow mit stolzer Zuversicht gegen den kosmopolitischen Hellenismus Goethe's, und die Zeit, welcher Schinkel angehörte, war von neu erwachtem Volksgesühl, von männlicher Kraft im Denken und Schaffen zu sehr erfüllt, als daß er sich am Nachbilden alter Muster genügen lassen konnte. Als schaffender Künstler erkannte Schinkel, daß man an den Formen der Antike nicht nach Laune ändern dürfe, ohne daß eine Entstellung des Ganzen eintrete. Hier mußte also, so erkannte er, wie in der Natur, ein Gesetz walten, welches, in sich zusammenhängend und vernunftgemäß, auch der Vernunft erkennbar fein mußte. Der Künstler selbst stellte die Erforschung dieses Gesetzes als eine unabweisbare Aufgabe hin, und um dieselbe Zeit, da die Säulen des alten Museums aufstiegen, erschien Bötticher's Tektonik der Hellenen, um den vernunstmäßigen Zusammenhang des Tempelbaues darzulegen. Ein so kühnes Unternehmen konnte nicht auf einmal gelingen, aber je unbefangener wir auf diese Bestrebungen zurückschauen, um so mehr werden wir anerkennen, daß es eine seltene Verbindung von künstlerischer Genialität mit geschichtlicher Forschung und philosophischem Denken war, welche jener großen Zeit ihr Gepräge gab.
Der Widerspruch konnte nicht fehlcn. Das Unabhängigkeitsgefühl der Künstler fühlte sich beengt und verletzt. Man wollte nicht aus Büchern lernen, nicht aus dem Alterthum die Bauformen entnehmen. Schinkel aber dachte nicht daran, ein altes Formensystem neu zu beleben, sondern den Normen nachzugehen,
Deutsche Rundschau. XVIII, 6. 23