Heft 
(1892) 70
Seite
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Deutsche Rundschau.

das leere Dreieck figürlich auszufüllen; es wurde zu einer gedankenlosen Decora- tion, bei der unter dem Zwange des Raumes die Figuren nach den Enden zu willkürlich einfchrumpften.

Ein zweites Kennzeichen des Rückganges ist die Wucherung, wie sie sich in der griechisch-römischen Kunst breit macht. Man trägt neuen Schmuck herbei, um die innere Verarmung äußerlich zu verkleiden. So sehen wir am capitolinischen Tempel, wie im Innern des Giebelfeldes nur einzelne matte Reminiscenzen, wie hockende Knaben und Wasserdämonen, angebracht werden; oberhalb des Giebels aber, wo ursprünglich eine bescheidene Palmette das Ganze krönte, erhebt sich nun der kolossale Ausbau eines mächtigen Viergespanns, und auf den schrägen Giebelkanten, die zu plastischer Ausstattung gänzlich ungeeignet sind, steht eine in sich unverbundene Reihe von Statuen. Das sind willkürlich entstandene Zu- thaten, in denen man die innere Krankheit eines an echte Ueberlieferung anknü­pfenden Kunstzweiges des Alterthums erkennt.

Architektur und Plastik sind nicht von einander zu trennen. Sie suchen einander; sie gehen neben einander her und in einander über, und in den Zeit­altern, in welchen sich das menschliche Kunstvermögen am normalsten entfaltet hat, vollzieht sich auch die glücklichste Verbindung der Schwesterkünste. Sie dienen einander ohne Rangstreit und Eifersucht; jede fühlt sich durch die andere geehrt, gehoben und gefördert. Ihre Zusammengehörigkeit kommt auch in den Personen der Künstler zum Ausdruck. Skopas und Polhklet, Bernini und Schlüter waren die gefeiertsten Architekten und die ersten Bildhauer ihrer Zeit.

Die Architektur ist ihrer Natur nach die leitende Kunst; das gegenseitige Verhältniß aber ein ungemein mannigfaltiges.

Es kann ein durchaus freier Anschluß sein, eine lose, ungebundene und doch wirksame Beziehung. Ich erinnere an die beiden Feldherrnstatuen neben der Haupt­wache; sie machen, so oft wir vorübergehen, einen wohlthuenden Eindruck, weil sie sich an ein dem Waffendienst gewidmetes, mächtiges Gebäude anschließen. Daß die schönsten Bildwerke an Wirkung verlieren, wenn sie auf weiten Flächen ohne Anschluß oder Einrahmung dastehen, hat man immer gefühlt. Als Michel Angelo's David fertig war, suchte man noch nachträglich Anschluß an große Gebäude. Eine andere architektonische Verwendung von Bildwerken ist es, wenn man sie vor großen Bauanlagen aufstellt, um dem Eingänge zu Burgen und heiligen Bezirken eine würdevolle Auszeichnung zu verleihen. So ließ Perikles das eherne Viergespann als Denkmal der Besiegung von Chalkis vorn an den Propyläen aufrichten; so wurden die beiden Reiterbilder, auch Denkmäler von Großthaten der Vorzeit, symmetrisch aufgestellt, um den Eingang zur Akropolis einzufassen, wie wir uns ja auch die beiden Rossebändiger von Monte Cavallo zu beiden Seiten eines festlichen Einganges stehend denken.

Auch aus den Zinnen der Gebäude hat die Plastik Raum gesunden, wie die Römer Statuen, in loser Verbindung mit der Architektur, reihenweise auf dem Rande ihrer Triumphbogen aufgestellt haben; es war ein äußerer Schmuck, von allen baulichen Schranken befreit. Die Renaissance hat sich diese Form des bildnerischen Schmuckes begierig angeeignet, um die Kirchendächer sowohl wie die Stirnseiten von Palästen und Bürgerhäusern mit Statuen zu besetzen, wie wir