Die Influenza.
Von
Wilhelm Meß.
Sprächen wir nicht deutsch und hätten wir nicht das unerklärte Fremdwort „Influenza" statt „Ladendo", wie der Volksmund um 1427 die Krankheit nannte: fürwahr, die Stelle des Pasquier „s'sntremoe^uoit 1s xeuxls, 1'un äs l'autrs äisnnt: ^.8 tu xoint su I^aäsnäo?" würden wir in den December 1889 datiren. Denn genau so spöttisch äußerte man sich damals über die scheinbar lächerliche Seuche, die von Petersburg her zu uns eingeschleppt war. Der Name „Modekrankheit", der schon häufig für die Influenza erfunden und ebenso häufig vergessen war, tauchte wiederum auf, und erst die empfindlichen Störungen, welche durch die Massenerkrankungen im Verkehr und im gesellschaftlichen Leben erzeugt wurden, drängten den allzu voreiligen Spott von den Lippen. Aber bald bemächtigte sich des zuerst recht sorglosen Publicums ein gewaltiger Schrecken. Denn es kamen ganz unerwartete und gefährliche Complicationen und Nachkrankheiten der Influenza zur allgemeinen Wahrnehmung; die Sterblichkeit wuchs bei uns und anderswo um so mehr, je länger die Seuche bestand; Greise und Schwache wurden dahingerafft, auch Menschen in der Blüthe der Jahre mußten dem Tode Zoll zahlen. Das Alles empfand man gerade darum so schwer, weil es unerwartet kam. Man stand der Krankheit wie einem ganz Neuen gegenüber; ja, Viele hielten sie wirklich für Etwas, was noch nie dagewesen war. Und dabei sind nicht viel weniger als hundert Epidemien aus früherer Zeit bekannt; man kann sogar sagen, daß die Influenza diejenige Seuche ist, welche am häufigsten in geschichtlicher Zeit den Erdkreis überzogen und die meisten Menschen befallen hat. Auch in unserem Jahrhundert war sie bereits neunmal, zuletzt im Winter 1874/75 in großem Maßstabe ausgetreten, und dennoch waren die Erinnerungen an sie fast völlig verwischt. Selbst Aerzte wußten wenig von ihr: behandelte doch ein sehr bekanntes und viel benutztes Lehrbuch der inneren Medicin die Influenza nur in einer Anmerkung und mit ganzen sechzehn Zeilen! Freilich, die medicinischen Historiker haben ein wahres Archiv über diese merkwürdige Krankheit zusammengebracht und uns den quellenmäßigen Stoff ge-