Heft 
(1892) 70
Seite
463
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Politische Rundschau.

Berlin, Mitte Februar.

Nach den lebhaftesten parlamentarischen Verhandlungen hat die erste Berathung des Entwurfes des Volksschulgesetzes in der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 30. Januar mit der Verweisung der Vorlage an eine Commission ihren Abschluß erhalten. Man würde jedoch bei der Annahme sehlgehen, daß die Erregung der Geister, die durch diesen Entwurf nicht bloß in Preußen, sondern überall in Deutschland hervor­gerufen worden ist, nachgelassen hat; vielmehr gelangt dieselbe in Kundgebungen jeder Art, die einen durchaus spontanen Charakter tragen, zum Ausdruck. So vielfältig sind die von liberaler und gemäßigt conservativer Seite gegen den Entwurf eines preußischen Volksschulgesetzes vorgebrachten Argumente nach allen Richtungen erörtert worden, daß es kaum angemessen erscheint, an dieser Stelle von Neuem auch nur aus die wichtigsten Gesichtspunkte hinzuweifen. Wie verfehlt erscheint dagegen die Berufung derjenigen, die den Entwurf vertheidigen, auf die Religion, als ob diese nicht vielmehr ein heiliges Gut wäre, das in seiner Bedeutung herabgesetzt wird, wenn es, anstatt Selbstzweck zu sein, gewissermaßen als eine opportunistische Waffe zur Bekämpfung der Socialdemokratie dienen soll.

Tatsächlich würden durch das neue Volksschulgesetz, falls es in der vorgefchlagenen Form oder auch nur mit unwesentlichen Abänderungen angenommen werden sollte, nicht Gegensätze beseitigt, sondern künstlich geschaffen werden. Wie einheitlich spiegelte das deutsche Heer die gesammte Bevölkerung des Vaterlandes wider, als es in dem großen Kriegsjahre galt, die höchsten nationalen Güter zu erringen! Jeder von uns, der an diesem Ringen für Deutschlands Einheit theilnehmen durfte, erinnert sich mit freudiger Genugthuung, wie damals nirgends Unterschiede des Stammes oder der Confesfion sich vorwagen durften. Das Volk in Waffen war eben in der That ein einig Volk von Brüdern. Und nun sollen Gegensätze hervorgerufen werden, deren Konsequenzen sich gar nicht absehen lassen. Hierzu kommt, daß sobald erst auf dem Gebiete der Volks­schule von Seiten der Staatsgewalt weitgehende Zugeständnisse an die Kirche gemacht werden, ein weiteres Hinabgleiten auf der schiefen Ebene unvermeidlich erscheint. Sehr bald würde an den Mittelschulen und höheren Lehranstalten, ja, an der geistigen Freiheit der Universitäten gerüttelt werden, die den Stolz Deutschlands bilden. Mit großer Genugthuung durften daher die gegen den Volksschulgesetz-Entwurf gerichteten Kundgebungen der hervorragendsten Lehrer der Universitäten Berlin und Halle begrüßt werden. Ist es doch allen Freunden der fortschreitenden Cultur und Civilisation aus der Seele gesprochen, wenn in der Eingabe der weit überwiegenden Mehrheit der Berliner Universitätslehrer lauter Namen vom besten Klange das preußische Parlament ersucht wird, den wachsenden Einfluß außerstaatlicher Mächte auf die Schule zu verhüten. Vielmehr soll mit allem Nachdrucke dafür eingetreten werden, daß die altbewährten Grundsätze, aus denen die Blüthe unseres Volksschulwesens beruht, und