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Deuyche Rundschau.
die auch der Bedeutung der Religion für die Volkserziehung, sowie dem berechtigten Einflüsse der Kirchengemeinschast volle Rechnung getragen haben, auch ferner in Kraft bleiben, und daß dem deutschen Volke durch eine nach den gleichen Gesichtspunkten geleitete und aus die gleichen Ziele gerichtete Bildung der Jugend „die Gemeinsamkeit seines geistigen Lebens, die Frucht einer Jahrhunderte langen Kulturarbeit und die sicherste Bürgschaft seines nationalen Zusammenhalts, ungeschmälert erhalten werde."
Daß die Centrumspartei trotz aller öffentlich erhobenen Einwendungen im Grunde des Herzens mit den von Seiten der Staatsgewalt gemachten Zugeständnissen am meisten zufrieden ist, kann nicht überraschen. Sind auch noch nicht alle Blüthenträume der Ultramontanen gereift, so dürfen diese doch hoffen, daß im Namen der Religion „aä majorsm voi Zloriain" sich immer mehr erreichen lassen wird, so daß schließlich das Ideal der clericalen Bestrebungen, die vollständige Kapitulation der Staatsgewalt verwirklicht werden könnte. Wie sehr aber für die Hierarchie die politische Machtfrage alles Uebrige beherrscht, erhellt aus dem jüngsten Verhalten der französischen Cardinal- Erzbischöfe, die trotz des ausgesprochenen Wunsches des Papstes Leo's XIII. in ihrer gemeinschaftlichen Erklärung gegen die bestehenden Einrichtungen Front machen. Allerdings fehlt es in dieser Erklärung der Cardinal-Erzbischöfe von Toulouse, Reims, Rennes, Paris und Lyon nicht an einigen Phrasen, die so gedeutet werden könnten, als ob die Mahnungen des Papstes, der den Anschluß des Cardinals Lavigerie an die republikanischen Institutionen billigte, nicht gerade zurückgewiesen werden; das Hauptgewicht in der Kundgebung der französischen Kirchenfürsten wird jedoch auf das Sündenregister gelegt, das der Regierung vorgehalten wird. So handelt es sich in der That weit eher um eine Kriegserklärung als um eine Unterwerfung unter die Staatsgewalt. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, daß gerade Cardinal Lavigerie, der Primas Von Afrika, nicht zur Theilnahme an dem gemeinschaftlichen Schritte aufgesordert, vielmehr geflissentlich ferngehalten worden ist. An der Bedeutung dieses Vorganges wird auch dadurch nichts geändert, daß Cardinal Lavigerie nicht ohne Ironie demjenigen Lheile der Erklärung, der als ein bedingter Anschluß an die herrschenden Institutionen gedeutet werden könnte, zugestimmt hat. Der Sarkasmus dieser Zustimmung, die von allen möglichen Voraussetzungen abhängig gemacht wird, springt aber deutlich in die Augen.
Charakteristisch ist, daß auch in der Kundgebung der französischen Cardinal- Erzbischöfe der „praktische Atheismus" gewissermaßen an erster Stelle für alles verantwortlich gemacht wird. Beinahe könnte man glauben, das französische Staatswesen müßte lediglich deshalb zu Grunde gehen, weil, wie es in der Erklärung heißt, die Gesetzgebung „das öffentliche Bekennen des Atheismus ermuthige, indem sie dieselben Ehrenbezeigungen für alle Arten der Beerdigung sestsetze und die Trauerceremonien erleichtere, bei denen die Gottesidee beseitigt ist". Als ob die katholische Kirche in Frankreich nicht ihre ganz bestimmten, sehr hohen Taxen hätte, durch welche die in ihrem Sinne veranstalteten Trauerceremonien erschwert werden. Ein Passus aus der Erklärung der französischen Cardinal-Erzbischöfe verdient aber dem papistischen Centrum ganz besonders entgegengehalten zu werden, wenn es sich bei der Forderung eines ihm zusagenden Volksschulgesetzes auf die Zusicherungen der Verfassung beruft, die doch, wie mit Fug betont wurde, eine ganz andere Bedeutung haben. Da die französischen Republikaner gegenüber den Uebergriffen der Monarchie hervorheben, daß die dem Concordate beigesügten organischen Artikel in aller Strenge zur Ausführung gebracht werden müßten, daß insbesondere auch die Zahl der Bisthümer, deren Titulare von der Staatsgewalt besoldet werden, innerhalb der früher festgesetzten Grenzen beschränkt bleiben müßte, so versichern nunmehr die französischen Cardinäle, daß der päpstliche Stuhl nicht aufgehört habe, gegen diese Bestimmungen zu protestiren, „von denen eine große Anzahl durch die Macht der Verhältnisse außer Brauch gekommen ist". Hier werden also die „organischen Artikel" ohne Weiteres für obsolet erklärt, während in Preußen solche organischen Bestimmungen nicht bloß angerufen, sondern auch falsch interpretirt werden. Daß ferner die Proteste des päpstlichen Stuhles als Waffe dienen sollen, erhält im