Politische Rundschau.
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dem letzteren Fall," heißt es in den Motiven, die der Conseilpräsident Beernaert der Repräsentantenkammer unterbreitet hat, „handelt es sich um die Existenz der Kammer selbst, sowie um den Besitz der Macht". In Hinsicht aus ein so großes Interesse verschwinden die untergeordneten Meinungsverschiedenheiten, und die Wähler, die einer Partei angehören, müssen die augenblicklich in Betracht kommende Frage aus den Augen lassen, selbst wenn sie nach ihrer eigenen Auffassung schlecht oder ungerecht entschieden worden ist. Wird dagegen die Ansicht der Wähler aus Anlaß eines Gesetzes oder des Prineips eines Gesetzes eingeholt, so würden sie die Antwort im Einklänge mit ihrem Gewissen extheilen." Wenn betont wird, daß es sich zumeist nur um eine Präventivmaßregel handeln würde, so erscheint das Referendum, dessen Vorschlag der Initiative des Königs selbst entspringen soll, keineswegs so bedenklich, wie die Clericalen vorgeben. Einfach genug wäre die Ausführung, da die Bevölkerung, wie ebenfalls in den Motiven ausgeführt wird, bloß mit „Ja" oder „Nein" antworten würde; andererseits ist es nicht zutreffend, wenn die belgischen Ultramontanen behaupten, es brauche nur an das Plebiscit erinnert zu werden, das Napoleon III. wenige Monate vor dem Ausbruche des deutsch-französischen Krieges herbeiführte, um zu zeigen, wie verfehlt die Einrichtung des geplanten Referendum sein würde. Die Vergleichung mit dem erwähnten Plebiseite ist wenig stichhaltig, da Napoleon III. es nur veranlaßte, um einen Ausweg aus den Wirren der inneren Politik zu finden, die durch das gesammte Regierungssystem verschuldet waren, so daß der Zusammenbruch der „imperialistischen Herrlichkeit" sehr bald erfolgen mußte.
Wesentlich verschieden von dem Vorgehen des letzten Kaisers der Franzosen ist dasjenige des Königs der Belgier, der stets seine unwandelbare Treue für das con- stitutionelle System bekundet hat. König Leopold II. konnte sich nicht verhehlen, daß Reformen wie die von ihm im Lebensinteresse des Landes für nothwendig erachtete allgemeine Dienstpflicht immer wieder an dem Widerspruche der clericalen parlamentarischen Mehrheit scheitern müssen, falls nicht eben die unmittelbare Entscheidung der Bevölkerung eingeholt werden kann. Ueberraschen konnte allerdings, daß die clericale Regierung selbst sich mit der Erklärung hinsichtlich der Verfassungsrevision so sehr identificirte, daß der leitende Minister auch aus der Annahme des Referendum eine Cabinetsfrage machen wollte. So erschien ein Conflict zwischen dem Ministerium und der clericalen Kammermehrheit, aus der es doch selbst hervorgegangen war, unvermeidlich, bis im letzten Augenblick noch ein Ausweg versucht wurde. Eine am 10. Februar gehaltene Versammlung der Rechten erklärte sich damit einverstanden, daß das Referendum durch ein Specialgesetz geregelt werde, in dem die Fälle besonders bezeichnet werden sollen, in denen eine Berufung an das Volk zulässig ist. Der Abgeordnete Woeste, von dem innerhalb des clericalen Feldlagers die heftigste Opposition gegen das Referendum ausgegangeu, war dann der Erste, der sich im Sinne einer solchen Umgestaltung der vom König gewünschten Einrichtung äußerte. Der Unterschied zwischen einer derartigen Befragung der Bevölkerung und der in der ursprünglichen Erklärung vorgeschlageuen leuchtet ohne Weiteres ein. Zunächst würde die Bedeutung der Maßregel selbst wesentlich verringert, wenn sie nicht einen unbedingten Charakter hätte, sondern durch ein Gesetz beschränkt würde, das durch einen einfachen parlamentarischen Beschluß abgeändert werden könnte, sobald die Umstände es erheischen. Ferner würde die clericale Kammermehrheit sicherlich dafür Sorge tragen, daß die Fälle, in denen das Referendum zulässig sein soll, so begrenzt würden, daß eine Gefahr für ihre auf die Behauptung der politischen Macht gerichteten Bemühungen ausgeschlossen wäre. Es darf jedoch nicht verhehlt werden, daß auch vom liberalen Standpunkte sich Einwendungen gegen das Referendum erheben lassen, das als Gegengewicht gegen das demokratische Rägime dienen soll, während von der „Jndäpendance Belge" mit Fug hervorgehoben wird, daß es vor allem in Belgien an der Grundlage eines solchen Rägime, dem allgemeinen Stimmrecht, fehle. Auch sind mit diesem Hinweise die Einwendungen gegen die vorgeschlagene neue Institution keineswegs erschöpft. Mit Interesse darf aber den parlamentarischen Verhandlungen in Belgien entgegengesehen