Heft 
(1892) 70
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Deutsche Rundschau.

Die siebzehn Aufsätze, welche Prof. Reusch in dem bei Cotta erschienenen Bande vereinigt hat, geben ein höchst merkwürdiges Bild von der Entwicklung, welche Döllinger^s Anschauungen seit dem Jahre 1848 genommen haben. Es ist leicht zu verstehen, weshalb der Herausgeber nicht auch dieEssays" und Reden älterer Zeit, z. B.Pflichten und Rechte der Kirche gegen Verstorbene eines fremden Bekenntnisses" (Hist. Pol. Bl. 1842, daraus abgedr. Freiburg i. Br. 1852) undDrei Reden, gehalten auf dem bayerischen Landtage 1846", der Sammlung einverleibt hat- Wir können das nur bedauern: um den ganzen Döllinger in den verschiedenen Phasen seines Lebens aufzuweisen, mußte man auch jene seiner ersten Periode angehörenden Erzeugnisse aufnehmen. Unter den hier aufgenommenen Abhandlungen werden, als bisher ungedruckt, namentlich diejenigen über das Concil von Trient und übev Pius IX. das Interesse des Lesers erwecken.

Welchen Standpunkt man immer auch inmitten der kirchenpolitischen und religiösen Kämpfe der Gegenwart einnehmen mag: man wird, wofern man sich durch blinden Parteihaß nicht täuschen läßt, zugeben müssen, daß in den nunmehr in den genannten Ausgaben vorliegenden Kleinen Schriften und Reden Döllingers Ergebnisse, wenn zum Theil auch nur Bruchstücke einer geistigen Arbeit vorliegen, welche stets zu den bedeutendsten Leistungen der deutschen Nation zählen wird. Der Weltweise, welcher am 10. Januar 1890, einundneunzig Jahr alt, noch im vollen Besitze seiner geistigen Fähigkeiten, einem Anfalle der Influenza erlag, wird nach mehr als einer Richtung als eine Jncarnation des deutschen Genius da stehen bleiben: so hat ihn uns Lenbacksis geistvolles Porträt, sicher eine der glücklichsten Schöpfungen des Künstlers, geschildert; so wird er fortleben in der Erinnerung derer, die ihn gekannt haben.

Zwei von den hier angezeigten Schriften beschäftigen sich mit dem Leben des Verewigten. Die von Reusch herausgegebenenBriefe und Erklärungen" Döllinger's sollen die Stellung desselben zu den Vaticanischen Decreten von 1870 und zur Römischen Curie beleuchten. Diese Actenstücke sind jedenfalls von hohem Werthe unb bleibendem geschichtlichen Interesse: ob man befugt war, einzelne derselben, wie die allerdings sehr eigenthümlichen Anschreiben des päpstlichen Nuntius Ruffo Scilla, jetzt schon zu veröffentlichen, sei dahingestellt.

DieErinnerungen", welche Frau Staatsrath von Eisenhart, die Tochter Franz von Kobell's, herausgegeben hat, wollen vorwaltend Gespräche festhalten, welche Döllinger auf seinen Spaziergängen mit der ihm befreundeten Familie seit den letzten zwölf Jahren feines Lebens geführt hat. Eine Menge Notizen und Anekdoten werden hier mitgetheilt, welche des Aufhebens werth erscheinen können. Daß denen, welche Döllinger gekannt, hier irgend etwas Neues gesagt werde, wird man kaum behaupten dürfen; daß Döllinger^ Andenken mit der Schrift im Ganzen und Großen ein besonderer Dienst geleistet sei, möchten wir auch nicht behaupten. Die Verfasserin hat, in der besten Absicht von der Welt, doch manche Aeußerung des großen Historikers voll­kommen mißverstanden; ihre Angaben sind hier und da durchaus unexact (so heißt es S. 33: Die Vorträgeüber die Wiedervereinigung der Kirche" feien erst 1889 gedruckt worden; es sollte heißenüber die Wiedervereinigung der Kirchen", 1888; gleich im ersten Satze des Buches S. 1 wird der Todestag Döllinger's fälschlich auf den 13. statt auf den 10. Januar 1890 angegeben); Büchertitel (z. B. S. 38: »(llvilta eatkoliea") und Autorennamen, die Namen geschichtlicher Personen (z. B. S. 68, 138: Julia statt Juliana von Retinna; S. 6, 139: Laprste statt Labre, Benedict Joseph) sind mitunter völlig entstellt, kurzum, es ist bedauerlich, daß nicht ein in solchen Dingen erfahrener literarischer Rathgeber das Büchlein revidirt hat. Daß es nicht zulässig war, die ganz intime photographische Aufnahme in Lord Actows Zimmer zu reproduciren, wird die Verfasserin wohl seither erfahren haben.

In den beiden übrigen hier zu erwähnenden Schriften liegen Neudrucke Döllingerffcher Werke vor, welche Hr. Prof. Friedrich in München bearbeitet hat. DiePapstfabeln" sind mit Anmerkungen begleitet, welche den Text des 1863 erschienenen Werkes mit dem heutigen Stande der Forschung in Einklang bringen und zugleich dierückläufige