Heft 
(1879) 27
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Grete Min de.

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.gebeugt, rasch und ungeduldig ihre Wiegenlieder summte; Gerdt schwieg. Vielleicht, daß er schon schlief.

Und im nächsten Augenblicke war sie treppab, über Hof und Garten, und hielt draußen an der Pforte.

Valtin wartete schon. Er hatte sich zu dem Joppenrock, den er gewöhnlich trug, auch noch in eine dicke Friesjacke gekleidet, und in dem wuchernden Grafe vor ihm lag eine schmale, hohe Leiter, wie man sie um die Kirschenzeit von außen her an die Bäume zu legen Pflegt. Grete trat auf ihn zu und gab ihm die Hand. Der breite Schatten, der auf das Gras fiel, hinderte sie die Leiter zu sehen, desto deutlicher aber sah sie feine winterliche Einkleidung. Und sie lachte. Denn der Sinn für das Komische war ihr geblieben. Und Valtin lachte gutmüthig mit, und sagte:'s ist für Dich, Grete, wenn Du frierst. Die Nacht ist kalt, auch eine Sommernacht." Und derweilen schlug es elf, und die Glockenschläge mahnten sie wieder an das was sie vor hatten. Valtin legte die Leiter an die Mauer und Grete stieg hinauf. Und im nächsten Augenblicke war er selber oben und zog die Leiter nach und stellte sie nach außen. Und nun waren sie frei. Sie sahen sich an und athmeten auf, und der Zauber des Bildes, das um sie her lag, ließ sie minutenlang ihres Leids und ihrer Gefahr vergessen. Die Nebel waren sortgezogen, silbergrüne Wiesen dehnten sie hüben und drüben, und dazwischen flimmerte der Strom, über den der Mond eben seine Lichtbrücke baute. Nichts hörbar, als das Gemurmel des Wassers und die Glocken, die von einigen Stadtkircheu her verspätet nachschlugen.

Beide hatten sich angefaßt und eilten raschen Schrittes auf den Fluß zu.

Willst Du hinüber?" fragte Grete.

Nein, ich will nur einen Kahn los machen. Sie glauben dann, wir seien drüben."

Uud als sie bald danach den losgebundenen Kahn inmitten des Stromes treiben sahen, hielten sie sich wieder seitwärts, über die thauglitzernden Tanger- Wiesen hin, bogen in weitem Zirkel um den Burghügel herum, und mündeten endlich auf einen Feldweg ein, der, hart neben der großen Straße hin, ans ben Lorenz-Wald zuführte.

Als sie seinen Rand beinah erreicht hatten, sagte Grete:Ich fürchte mich."

Bor dem Wald?"

Neiu. Vor Dir."

Valtin lachte.Ja, das ist nun zu spät, Grete. Du mußt es nun nehmen, wie's fällt. Und wenn ich Dir Deinen kleinen Finger abschneide, oder Dich todt drücke vor Haß oder Liebe, Du mußt es uun leiden."

Er wollt' ihr zärtlich das Haar streicheln, so weit es aus dem schwarzen Kopftuche hervor sah, aber sie machte sich los von ihm und sagte:Laß.

Ich weiß nicht was es ist, aber so lange wir in dem Wald' sind, Valtin, darfst Du mich nicht zärtlich ansehen und mich nicht küssen. Unter den Sternen hier, da sieht uns Gott, aber in dem Walde drin ist alles Nacht und Finsterniß. Und die Finsterniß ist das Böse. Ich weiß es wohl, daß es kindisch ist, denn