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Theodor Fontane in Berlin.
Kranken. Dieser schien einen Augenblick geschlafen zu haben, und als er jetzt die Augen wieder öffnete, beugte sie sich zu ihm nieder und fragte leise: „Wie ist Dir?"
„Gut."
„Ach, sage nicht gut. Deine Stirn brennt, und ich seh' wie Deine Brust fliegt. Mein einzig lieber Baltin, vergieb mir, sage mir, daß Du mir vergiebst."
„Was, Grete? Was soll ich Dir vergeben?"
„Was? was? Altes, Alles! Ich bin Schuld an Deinem Elend und nun bin ich Schuld an Deinem Tod. Aber ich wußt' es nicht anders und ich wollt' es nicht. Ich war ein Kind noch, und sieh', ich liebte Dich so sehr.
Aber nicht genug, nicht genug, und es war nicht die rechte Liebe. Sonst war'
es anders gekommen, alles anders."
„Laß es, Grete."
„Nein, ich laß es nicht. Ich will mein Herz ausschütten vor Dir. Ach, sonst beichten die Sterbenden, ich aber will Dir beichten, Dir.
Er lächelte. „Du hast mir nichts zu beichten."
„Doch, doch. Biel, viel mehr als Du glaubst. Denn sieh, ich habe nur an mich gedacht; das war es: da liegt meine Schuld. Es kommt alles von Gott, auch das Unrecht, das man uns anthut, und wir müssen es tragen lernen. Das hat mir Gigas oft gesagt, so oft; aber ich wollt' es nicht
tragen und Hab' aufgebäumt in Haß und in Ungeduld. Und in meinem Haß
und meiner Ungeduld Hab ich Dich mit fortgezwungen, und habe Dich um Glück und Leben gebracht."
Er schüttelte den Kops und wiederholte nur leise: „Laß es, Grete.
Du hast mich nicht um das Glück gebracht. Es war nur anders, als andrer Leute Glück. Weißt Du noch, als wir auf dem Floß fuhren und das Schilf streiften und die Wasservögel aufflogen, ach, wie stand da der Himmel so blau und golden über uns und wie hell schien uns die Sonne! Ja, da waren wir glücklich. Und als wir dann auf Lübeck zogen und das Holstenthor vor uns hatten, das uns mit seinen grünen und rothen Ziegeln ansah, und dann Musik und Fahnenschwenker auf uns zukamen, als ob man uns einen Einzug machen wolle, da lachten wir und waren froh in unserem Herzen, denn wir nahmen es als ein gutes Zeichen und wußten nun, daß wir gute Tage haben würden. Und wir hatten sie auch, und hätten sie noch, denn fleißige Tage sind gute Tage, wenn nicht der Streit gekommen war', der Streit um nichts. Da freilich war es aus. . . Aber lassen wir's. Was wir gehabt haben, das haben wir gehabt. Meinst nicht, Gret'? Und nun gieb mir das Kind, daß ich mich seiner freue."
Grete war aufgestanden, um ihm das Kind zu geben; aber eh' sie's aufnehmen konnte, befiel ihn ein Stickhusten, wohl von der Anstrengung des Sprechens, und als der Anfall endlich vorüber war, lag er schweißgebadet da, matt und halbgeschlossenen Auges, wie ein Sterbender.