Heft 
(1879) 27
Seite
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Theodor Fontane in Berlin.

Ach, daß sie damals zerdrückt und zertreten worden wäre. Nun zertrat sie diese Stunde! Aber sie redete sich zu, und schritt weiter in die Stadt hinein, bis sie dem Minde'schen Hause gegenüber hielt. Es war nichts da, was sie hätte stören oder überraschen können. In allem derselbe Anblick wie srüher. Da waren noch die Nischen, ans deren Steinplatten sie, lang, lang eh Trud in's Haus kam, mit Valtin gesessen und geplaudert hatte, und dort oben die Giebelsenster, die jetzt aufstanden, um die Frische des Abends einzulassen, das waren ihre

Fenster. Dahinter hatte sie geträumt, geträumt so Vieles, so Wunderbares.

Aber doch nicht das!

In diesem Augenblicke ging drüben die Thür, und ein Knabe, drei- oder vierjährig, lief auf die Stelle zu, wo Grete stand. Sie sah wohl, wer es war, und wollt' ihn bei der Hand nehmen; aber er riß sich los und huschte bang und ängstlich in eines der Nachbarhäuser hinein.So beginnt es"

sagte sie und schritt quer über den Damm und auf das Haus zu, dessen Thüre

offen geblieben war. In dem Flure, trotzdem es schon dämmerte, ließ sich alles deutlich erkennen: an den Wänden hin standen die braunen Schränke, dahinter die weißen, und nur die Schwalbennester, die links und rechts an dem großen Querbalken geklebt hatten, waren abgestoßen. Man sah nur noch die Rundung, wo sie vordem gesessen. Das erschreckte sie mehr als alles andre.Die Schwalben sind nicht mehr heimisch hier," sagte siedas Haus ist ungastlich geworden." Und nun klopfte sie und trat ein.

Ihr Auge glitt unwillkürlich über die Wände hin, an denen ein Paar von den Familienbildern fehlten, die srüher dagewesen waren, auch das ihrer Mutter; aber der große NUlßbaumtisch stand noch am alten Platz, und an der einen Schmalseite des Tisches, den Kopf zurück, die Füße weit vor, saßMerdt, und las. Es schien ein Actenstück, dessen Durchsicht ihm in seiner Raths­herren-Eigenschaft obliegen mochte. Denn einer von den Mindes saß immer im Rathe der Stadt. Das war so seit hundert Jahren oder mehr.

Grete war an der Schwelle stehen geblieben, und erst als sie wahrnahm daß Gerdt aufsah und die wenigen Bogen, die das Actenstück bildeten, zur Seite legte, sagte sie:Grüß Dich Gott, Gerdt. Ich bin Deine Schwester

Grete."

Ei, Grete," sagte der Angeredete,bist Du da! Wir haben uns lange nicht gesehen. Was machst Du? Was führt Dich her?"

Valtin ist todt. . ."

Ist er? So!"

Valtin ist todt, und ich bin allein. Ich Hab' ihm auf seinem Sterbe­bette versprechen müssen, Euch um Verzeihung zu bitten. Und da bin ich mm, und thu's, und bitte Dich um eine Heimstatt und um einen Platz an Deinem Herd. Ich bin müde des Umherfahrens und will still und ruhig werden. Ganz still. Und ich will Euch dienen; das soll meine Buße sein." Und sie warf sich, als sie so gesprochen, mit einem heftigen Entschlüsse vor ihm nieder, mehr rasch als reuig, und sah ihn fragend und mit sonderbarem