Grete Min de.
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auf und schwanden wieder, alle von dem einen Verlangen eingegeben, ihrem Haß und ihrer Rache genug zu thun. Und immer war es Gerdt, den sie vor Augen hatte, nicht Trud; und aus seinen Schultern stand ein rothes Männlein mit einem rothen Hut und einer rothen vielgezackten Fahne, das wollt' er abschütteln; aber er könnt' es nicht. Und sielachte vor sich hin, ganz laut, und nur in ihrem Innern klang es leise: „Bin ich irr'?"
Unter solchen Bildern und Vorstellungen war sie grad' über den Rathhausplatz hinaus, als sie plötzlich, wie von einem Lichtscheins geblendet, sich wieder umsah, und der halben Mondesscheibe gewahr wurde, die still und friedlich, als regiere sie diese Stunde, über dem Giebelfelde des Rathhauses stand. Und sie sah hinaus, und ihr war, als lege sich ihr eine Hand beruhigend aus das Herz. „Es soll mir ein Zeichen sein," sagte sie. „Vor den Rath will ich es bringen; der soll mich ausrichten . . . Nein, nicht aufrichten. Richten soll er. Ich will nicht Trost und Gnade von Menschenmund und Menschenhand, aber mein Recht will ich, mein Recht gegen ihn, der sich und seiner Seelen Seligkeit dem Teufel verschrieben hat. Denn der Geiz ist der Teufel." Und sie wiederholte sich's, und grüßte mit ihrer Hand zu der Mondesscheibe hinaus.
Dann aber wandte sie sich wieder und ging auf das Thor und die Vorstadt zu.
Draußen angekommen, setzte sie sich zu den Gästen, und sprach mit ihnen und bat um etwas Milch. Als ihr diese gebracht worden, verabschiedete sie sich rasch und stieg in die Bodenkammer hinauf, darin ihr die Wirthin ein Bett und eine Wiege gestellt hatte. Und todtmüde von den Anstrengungen des Tags warf sie sich nieder und schlief ein. Bis um Mitternacht, wo das Kind unruhig zu werden anfing. Sie hörte sein Wimmern und nahm es auf, und als sie's gestillt und wieder eingewiegt, öffnete sie das Fenster, das den Blick auf die Vorstadts-Gärten und dahinter auf weite, weite Stoppelfelder hatte. Der Mond war unter, aber die Sterne glitzerten in beinah' winterlicher Pracht, und sie sah hinauf in den goldenen Reigen und streckte beide Hände danach aus. „Gott erbarme Dich mein!" Und sie kniete nieder und küßte das Kind. Und ihren Kopf auf dein Kissen und ihre rechte Hand über die Wiege gelegt, so fand sie die Wirthin, als sie bei Tagesanbruch eintrat, um sie zu wecken.
Der Schlaf hatte sie gestärkt, und noch einmal fiel es wie Licht und Hoffnung in ihr umdunkeltes Gemüth, ja, ein frischer Muth kam ihr, an den sie selber nicht mehr geglaubt hatte. Jeder im Rathe kannte sie ja, und der alte Peter Guntz war ihres Vaters Freund gewesen. Und Gerdt? der hatte keinen Anhang und keine Liebe. Das wußte sie von alten und neuen Zeiten her. Und sie nahm einen Imbiß und spielte mit dem Kind und plauderte mit der Wirthin, und auf Augenblicke war es, als vergäße sie, was sie hergeführt.
Aber nun schlug es elf von Sauet Stephan. Das war die Stunde,