Grete Minde.
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Giebel war der Rathhausgiebel, jetzt schwarz und glasig, und hinter dem Giebel stand ein dickes Gewölk. Zugleich fühlte sie, daß eine schwere, feuchte Luft zog; Windstöße fuhren dazwischen, und sie hörte wie das Obst von den Bäumen fiel. Ueber die Stadt hin aber, von Sanct Stephan her,
flogen die Dohlen, unruhig als ob sie nach einem andren Platze suchten und
ihn nicht finden könnten. Grete sah es alles. Und sie sog die feuchte Lust ein und ging weiter. Ihr war so frei.
Als sie das zweite Mal ihren Zirkelgang gemacht und wieder das
Thor und seinen inneren Vorplatz erreicht hatte, verlangte sie's nach einer kurzen Rast. Eine von den Scheunen, die mit dem Vorplatz grenzte, dünkte ihr am bequemsten dazu. Das Dach war schadhaft und die Lehmfüllung an vielen Stellen aus dem Fachwerk herausgeschlagen. Und sie bückte sich und schlüpfte durch eines dieser Löcher in die Scheune hinein. Diese war nur halb angefüllt, zumeist mit Stroh und Werg, und wo der First eingedrückt
war, hing die Dachung in langen Wiepen herunter. Sie setzte sich in den Werg, als wolle sie schlafen. Aber sie schlief nicht, von Zeit zu Zeit vielmehr erhob sie sich, um unter das offene Dach zu treten, wo der Himmel finster-wolkig und dann wieder in Heller Tagesbläue hereinsah. Endlich aber blieb die Helle fort, und sie wußte nun, daß es wirklich Abend geworden. Und daraus hatte sie gewartet. Sie bückte sich und tappte nach ihrem Bündel, das sie bei Seite gelegt, und als sie's gefunden und sich wieder aufgerichtet hatte, gab es in dem Dunkel einen blassen, bläulichen Schein, wie wenn sie einen langen Feuersaden in ihrer Hand halte. Und nun ließ sie den Faden fallen, und kroch, ohne sich umzusehen, ans der Fachwerk- Oefsnung wieder in's Freie hinaus.
Wohin? In die Stadt? Dazu war es noch zu früh, und so suchte sie nach einem schon vorher von ihr bemerkten, aus Ziegel und Feldstein ausgemauerten Treppenstück, das von der Innenseite der Stadtmauer her, in einen alten, längst abgetragenen Festungsthnrm hinaufführte. Und jetzt hatte sie das Treppenstück gesunden. Cs war schmal und bröcklig, und einige Stufen fehlten ganz; aber Grete, wie nachtwandelnd, stieg die sonderbare Leiter mit Leichtigkeit hinauf, setzte sich aus die losen Steine und lehnte sich an einen Berberitzenstrauch, der hier oben auf der Mauer ausgewachsen war. So saß sie und wartete; lange; aber es kam keine Ungeduld über sie. Endlich drängte sich, ein schwarzer Qualm aus der Dachöffnung und im nächsten Augenblicke lief cs in rothen Funken über den First hin und alles Holz- und Sparrenwerk knisterte auf, als ob Reisig von den Flammen gefaßt worden wäre. Dazu wuchs der Wind, und wie aus einem zugigen Schlot heraus, fuhren jetzt die brennenden Wergslocken in die Luft. Einige fielen seitwärts auf die Nachbarscheunen nieder, andre aber trieb der Nordwester vorwärts aus die Stadt und eh eine Viertelstunde um war, schlug an zwanzig Stellen das Feuer au und von allen Kirchen her begann das Stürmen der Glocken. „Das ist Sanct Stephan," jubelte Grete, und dazwischen, in wirrem Wechsel, summte