Issue 
(1897) 08
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Zoljuii»cs*.

142 000 Stück, ist aber seitdem wegen der raschen Aus­rottung der Tiere sehr zurückgegangen, so daß die Jäger im Jahre 1896 nur 73000 und 1897 sogar nur 55000 Stück zu finden vermochten.

Die Jagd auf hoher See übt eine höchst verderbliche Wirkung auf den Robbenbestand aus. Die Jäger töten mit Gewehren zwei- bis dreimal mehr Tiere als sie bergen können, da letztere sehr schnell versinken; und dazu sind noch 70 bis 80 Prozent der erlegten Tiere tragende Weibchen. Diese schlafen sehr viel auf den Wellen. Nachdem sie sich satt gegessen haben, legen sie sich auf den Rücken, ziehen die Flossen über den Leib, schlafen ein und werden erst durch die Harpune oder das Gewehr des Jägers erweckt.

Am grausamsten aber ist die Jagd im Beringmeere, denn hier hat fast jedes Weibchen ihr Junges zu Hause auf den Inseln; der Tod der Mutter führt auch seinen Tod herbei, denn die armen Tierchen sind für ihre Nahrung ganz ans die Muttermilch angewiesen, und kein Mütterchen läßt sich herbei, ein fremdes Junges zu säugen. Deshalb verhungern jedes Jahr Tausende von Säuglingen. Die amerikanischen Beamten schätzten für das Jahr 1894 diese verhungerten Säuglinge auf 20 000. Ueberall lagen die abgemagerten Leichen ans dem Strande herum, während halbverhungerte Tierchen fortwährend am Strande jammerten und auf das Meer hinaus nach der nimmer wiederkehrenden Mutter blickten. William C. Dreher.

Schlafende Pelzrobbcn auf hoher See.

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Drama in 5 Akten nnd einem Vorspiel von Hermann Ende rin an».

Zum ersten Male nnfgcfnhrt im Deutschen Theater zu Berlin.

Von

Wchard Mud Hausen.

Echon zwei oder drei Wochen vorher hatte es keine Ein- trittskarteu mehr gegeben. Tausend Menschen etwa saßt das unfreundliche, enge Bühnenhaus in der Schnmann- straße, und zehntausend waren von dem brennenden Wunsch erfüllt, derPremiere" beizuwohnen. Der Berliner Kunst­sinn ist, charakteristisch genug, der Sinn fürs Theater, und dieser Sinn bethätigt sich, noch charakteristischer, mit Vor­liebe bei den Erstaufführungen. Leute, die gern eine Doppelkrone hinwerfen, wenn sie dafür eine dramatische Neuheit mit aus der Taufe heben dürfen, würden für die Wiederholung des ihnen noch unbekannten Stückes keine zwei Mark opfern, nnd das auf Grund derselben tiefsinnigen Erwägungen, die sie davon abhält, für eine Dichtung in Buchform auch nur fünfzig Pfennig auszugeben. Man muß sagen können, daß mandabei gewesen" sei, man muß gesehen worden sein, sonst hat alles keinen Zweck. Er-

j freuen sich nun schon die Schöpfungen der Dramatiker des j Mittelstandes reger Teilnahme und Aufmerksamkeit, so steigt j das Interesse bis zum Siedepunkt, wenn ein hoher Aristokrat ! der Coulissenwelt zur Feuerprobe lädt. Im FalleJohannes" i aber war noch mehr geschehen. Seit Monaten, ja seit ! Jahren hatte das Gong-Gong der Reklame fast unaufhör- lich gedröhnt, gewiß sehr wider Willen und Wunsch des vornehm gesinnten Dichters. Es scheint, daßJohannes" eine ältere, vielleicht eine Jugendarbeit Sudermanns ist, die er jetzt nur sorglich verbessert und abgefchliffen hat. j Wenigstens spukte die Meldung, daß er demnächst mit ihr ! hervortreten werde, schon geraume Zeit durch die Zeitiiugs- j spalten. Feste Gestalt nahm sie an, als die ersten Notizen ! über HauptmannsFlorian Geyer" aufslogen, und nun ! kam das vorsorglich liebevolle Gerücht nicht mehr zur Ruhe, j Am Ende erging gar in Berlin ein Zensurverbot. Das i hatte noch gefehlt. Jetzt begannen die berüchtigt gewordenen ! Vorlesungen des Dramas in allen größeren Städten Deutsch- ^ lands, deren durch die Einladung hochgeehrte Teilnehmer programmmäßig jedesmal vor Entzücken außer sich gerieten. Zuletzt ließ der Kaiser selbst das Manuskript einfordern, und das Verbot wurde rückgängig gemacht. Die Neugier und die Sensationslust hatten mittlerweile den Gipfel erklommen. Und als der große Abend hereingedämmert war, sah er ein überfülltes Parkett, dessen einzelne Plätze dreißig bis i hundert Mark gekostet hatten, also mit 700 bis 2200 Pro­zent gehandelt worden waren, ein Erfolg, dessen sich kein Gasglühlicht- und kein Trebertrocknungsunternehmen rühmen darf. Auf den oberen Rängen drängte sich das litterarische Berlin, soweit es nicht Kritikerdienst that. Fieberhaft ge- ! spannte Erwartung überall, nervöse Erregung wie schwüle ! Gewitterluft für den Unkundigen der Vorbote eines ! großen Erfolges, während es den Erfahrenen bedenklich i machte. Selbst eine geniale Dichterkraft hätte dieser über- ! reizten Menge gegenüber einen schweren Stand gehabt, und Sudermann darf es nicht nur seiner allerdings unleugbaren Begabung, dem feinen Takte, womit er gewisse Klippen umschiffte, sondern auch der Parteinahme des Publikums z für seine von der Polizei verfolgte Muse verdanken, daß j ihm eine zermalmende Niederlage erspart blieb.

' Wer Sudermanns Können und Streben aufmerksam ! betrachtet und verfolgt hat, dem mußte es von vornherein ! als ausgeschlossen erscheinen, daß dieser Dichter dem Jo- i Hannesstoff auch nur annähernd gerecht werden würde. Es ^ liegt etwas Wahres in der Behauptung, daß der Verfasser ^ derEhre", derHeimat", derSchmetterlingsschlacht" eigentlich nur Paul Lindau fortgesetzt und veredelt habe; selbst in seiner besten und darum am wenigsten gepriesenen Arbeit,Sodoms Ende", steht er unleugbar auf den Schultern des jüngeren Dumas, von dem ja Lindau fein Bestes gelernt hat.Sodoms Ende" wird fortleben und ! klassisch genannt werden, wenn Sudermanns übrige Dramen längst keinen Leser mehr finden. InSodoms Ende" hat ! sich Sudermann rein und ohne störende Beigabe als da? ! gezeigt, was er wirklich ist: als der kluge, die Bühne ! souverän beherrschende Theatraliker, der vor den bedenklichsten Mitteln nicht zurückschent und nicht znrückzuscheuen braucht; als ein Meister des Wortes und ein unerbittlicher Sozial­satiriker. Niemals ist das Berliner Tiergartenviertel mit so grausamem Hohn an den Pranger gestellt, mit so jn- venalischer Erbarmungslosigkeit gekennzeichnet worden. Und für solche Aufgabe reichte die Kraft des kalten, klaren Be­obachters aus. Hier war die überlegene Skepsis des mo­dernen Berliner Poeten, des in Kants Schule gegangenen Ostpreußen am Platze.

Aber die Johannesmär verlangt ein andres. Den Vorläufer und Herold des Heilandes umwittert schon die­selbe Himmelspoesie wie ihn selbst; der ewige Glanz, der ausgegossen liegt über dem Wunder des Jordanthales, bricht