Issue 
(1897) 08
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Ueöer Land und Meer.

auch aus seinen Schwürmeraugen, und auch seine Augen haben die Pforten des Sternenreiches offen gesehen. Vieles ist, das uns die rührende Gestalt des Täufers unendlich lieb und teuer, geheimnisvoll und vertraut zugleich macht. Der finstere Prediger in der Wüste, der drohend eifert und Vernichtung verkündet, und dessen zornvolle Lehre dann spurlos versinkt vor den milden Worten des Welterlösers; der aber doch begnadet ist, ihn zu taufen und als erster unter allen Sterblichen Christi göttliche Sendung zu er­kennen. Der weltfremde Gesell, der ein .Kleid von Kamels­haaren trägt und sich von Heuschrecken und wildem Honig ! nährt, den aber doch eine Königin und eine Königstochter j so brünstig hassen, wie es nur mit Füßen getretene Liebe i vermag. Welche Rätsel! Welche Fülle großer, flammender, wundersamer Gedanken! Was ist natürlicher, als das; sie den Dichter locken? Doch es müßte ein heiliger Dichter sein, ein verträumter Phantast, der sich in den geheimsten Gängen der Menschenseele mit nachtwandlerischer Sicherheit zurecht und zum Ziele findet. Ihm müßte alle Innigkeit des frommen Gläubigen und aller Scharfsinn des Menschenschöpfers eignen. Und dies besonders: er müßte ein Gestalter sein, ein Künstler, dem sich ungezwungen, wie von selbst, Re­flexionen und Ideen in Bilder nmsetzen.

Das alles vermag Sudermann nicht. Wenn trotzdem seine Arbeit nicht völlig verfehlt genannt werden darf, wenn es ihm trotzdem gelungen ist, Funken aus dem Stein zu schlagen, hie und da plastische Figuren aus dein Marmor heraus zu meißeln, so verrät das die Inbrunst seiner An­strengungen. Zähneknirschend, man spürt es aller Ecken und Enden, hat er mit dem gewaltigen Stoffe gerungen und sich überangestrengt, ihn zu meistern. Das; er schließ­lich doch an ihm znsammengebrochen ist, mag litterarischen Rowdies Anlaß geben, den Mann zu verspotten, der seiner Kräfte Grenze noch nicht erkannt hat. Ernste Kunstfreunde werden mehr die Größe des Vorwurfs als die verzerrte, im Prokrustesbett ausgereckte Kleinheit der Durchführung beachten und dann immer noch ihre respektvolle Reverenz vor Sudermanns Können und künstlerischem Unterfangen machen müssen.

Es lag offenbar im Plane des Dichters, Johannes' allmähliche Entwicklung vom zornigen Zeloten zum jesu- gütigen Apostel der Liebe zu schildern, vom falschen Propheten zum echten Jünger Christi. Er wollte die Tra­gödie des Vorläufers schreiben, des kleineren Helden, der zu Grunde geht an der Gewalt der Gegensätze, der die alte und die neue Zeit nicht zu versöhnen weiß, weil er der alten zwar geistig entwachsen ist, in der neuen aber noch nicht Wurzel geschlagen hat. Johannes glaubt, daß es genügen werde, zu bessern, zu reformieren, während der Messias doch die Revolution bringt. Er null keine alten Tafeln zerbrechen, nur ihre Inschriften wieder lesbar machen; doch der da kommen soll, wird neue Gesetze geben. Als Johannes das fühlt, sinkt ihm das erhobene Schwert, sinkt ihm der Stein ans der Hand, der den Gotteslästerer und Ehebrecher Herodes zerschmettern sollte; die prophetische Kraft geht von ihn;. Sterbend erst erkennt er den Heiland, den Gott der Liebe, dem er unter Donnern und Blitzen, ein Hassender, den Weg zu bereiten gedachte.

Ans den ersten Blick scheint die Johauneslegende ein für Sndermann ungemein geeigneter Stoff, und seine ver­lockenden Aeußerlichkeiten mögen den Dichter auch unwider­stehlich angezogen haben. Er, der so gern durch grelle Kontrastierung wirkt, weil er die Gesetze der dramatischen Effekte genau kennt, hatte hier Gelegenheit, zwei verschiedene Welten aufeinanderprallen zu lassen: die in funkelnde Sinneulust versunkene, mählich vermodernde Antike und den neuen, asketischen Geist, der später das junge Christentum erfüllte. Welche gewaltigen Gegensätze ergab dieser in Lumpen gekleidete, bleiche, aller irdischen Lust abgewandte

Einsam aus der Wüste auf der eiuen Seite, dieser genuß­süchtige, orientalische Despot, der blasierte römische Prasser Vitellins, vor allem aber die beiden kronentragenden Teu­felinnen, Herodias und ihre Tochter Salome, aus der andern Seite! Aber was sie entzückt und berauscht, was sie sinnen und zitternd vor Leidenschaft ersehnen, das weht trotz seines Gluthauchs eindruckslos an dem Täufer vorüber, während er ihnen wieder mit Recht entgegenhalten kann, sie verstünden ihn nicht. Die feindlichen Gewalten stoßen aufeinander, bekämpfen sich mit Wut, doch sie erschüttern einander nicht; keine erleidet durch die andre auch nur die leiseste innere Umwandlung. Das kann allenfalls theatralisch wirksam sein, und bei einem so geschickten Techniker wie Sudermann ist es theatralisch wirksam; aber dramatisch im eigentlichen Sinne ist es nun und nimmer. Man hat Sndermann oft vorgeworfen, das; seine Helden jeder inneren Entwicklung entbehren, daß sie an; Ende starr und puppen­haft steif auf demselben Punkte stehen, von wo sie ausgegangeu sind. Mit demJohannes" hat er diese Behauptung wider­legen wollen, hat sie jedoch statt dessen bekräftigt. Es ist nur nötig, den Kern der Handlung zu analysieren, um sofort die Leblosigkeit, die dramatische Ünergiebigkeit der Geschehnisse ! nufzumeisen. Alan erkennt dann, woher es kam, das; die Zu- i Hörer bei der Premiere unaufmerksam wurden, sobald die j Coulissenkunst des Dichters abgelöst wurde von Versuchen, see- ^ tische Zustände in intimer Detailmalerei zu schildern. Alan ; spürte im Parkett instinktiv, daß diese Anstrengungen vergeblich und deshalb überflüssig und störend waren; sie hatten keine tragsähige Grundlage, und jede Vorbedingung zu gesundem, organischem Wachstun; fehlte.

Salome, die schillernde Giftschlange, die süße Hexe, die geradewegs aus dein Barczinowskischen Salon in Sodoms Ende" stammt, liebt den wilden, düsteren Täufer mit den Gottesaugen und begehrt ihn in verzehrender Leiden­schaft. Er aber, der des Theaterkontrastes wegen immer ein Ausbund von Tugend bleiben muß, stößt sie mit harten ^ Worten zurück, und nun heischt sie, von der Mutter »och > aufgestachelt, seinen Kopf als Lohn für ihren Tanz. Und ^ der Prophet wird gerichtet, ohne Schuld, als Opfer einer verrückten Laune was sich in Tragödien immer unvor- ^ teilhaft ausnimmt, ja, was die Tragödie vernichtet. Schuld ; und Sühne werden sich auf den Brettern, die der ernsten Muse dienen, in Ewigkeit ergänzen müssen; eine ohne die andre empört unser sittliches Empfinden und läßt uns daran zweifeln, ob wir ein wahres Kunstwerk sehen. Mau ist erstaunt, daß der Dichter den sich scheinbar von selbst bietenden Ausweg nicht benutzt, daß er seinen Johannes nicht der bestrickenden Schönheit dieses jungen Leibes, der sich ihm dürstend aubot, hat erliegen lassen. In Sünde mußte der Täufer fallen, um die Macht der Sünde zu verstehen, inenschlich mit Menschen fühlen mußte er, um Menschen richten zu können. Die flammenden Worte der Herodias deuten fast gebieterisch auf eine solche Entwicklung hin. Tie verbrecherische Liebe hätte de»; Eiferer erst das Verständnis für Jesu Größe und lächelnde Hoheit erschlossen; erst wenn er selber der Verzeihung bedurfte, wäre ihm die welterlösende Schönheit des Christentums voll ausgegangeu. Durch Nacht wäre er wieder zum Licht emporgedrungen, geläutert und wissend. Sndermann hat den Knoten nicht geschürzt und damit jeden wirklichen dramatischen Konflikt vermiede;» An der äußeren Handlung, die sich im wesentlichen, in ihren interessanten Vorgängen um Salome, die geschmeidige Tiger­katze, dreht, nimmt sein Täufer wohl teil; aber nicht wie warmblütige Menschenkinder, wie Schachfiguren stehen sich die beiden gegenüber. So bleibt uns Johannes fremd. Was er erlebt, ist zufällig, hat nichts zu thun mit der inneren Wandlung, die sein Dichter ihn durchmachen läßt; im Gegenteil, diese Geschehnisse lenken davon ab, und mau vergißt darüber den Grnndplan des Dramas. Nur eine