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Weber Land und Meer.
Der heimlichste Veruf.
Von
Krnst WueKenöach.
hinein vielgerühmten und also auch vielbeueideten Dichter HLl ist kürzlich ein wunderliches Mißgeschick begegnet. Er hatte beim Abschied von der Sommerfrische seinen Namen in das Fremdenbuch des Gasthofs eingetragen und dabei auch seinen Berns angegeben : „N. dl., Dichter, aus Berlin". Ein späterer Gast — vielleicht ein Kollege — empfand diese Form der Einzeichnung als unfreiwilligen Witz und teilte sie einer großen Zeitung mit. Die gewandte Redaktion erweiterte die Einsendung zu einen: acht Zeilen langen Ge- schichtchen, welches den Namen des Dichters sicher erraten ließ, ohne ihn zu nennen, und ans den: Wege des Nachdrucks erstaunlich schnell von Blatt zu Blatt wanderte, so weit die deutsche Zunge klingt.
In jener Zeit saß ich einmal in einen: öffentlichen Lesezimmer, um die größeren Zeitungen nach einer gewissei: litterarischen Notiz zu durchsuchen. Die Notiz fand ich nicht, aber ungefähr zehnmal sprang mir die Geschichte von den: Dichter entgegen, der sich öffentlich einen Dichter nannte. Das erste Mal hatte ich über die Geschichte gelacht; bei jeden: Wiedersehen wurde sie mir unleidiger, und als ich zufällig hörte, wie inein Nebenmann einen Dritte,: auf sie aufmerksam machte und beide darüber lachten, empfand ich das schon beinahe wie eine Beleidigung. Auf der Heimfahrt traf ich in: Pferdebahnwagen einen guten Bekannten, der mir sogleich die Geschichte erzählte und die teilnehmende Frage daran schloß, ob ich denn noch immer nicht von meinem Rheumatismus befreit sei? Vermutlich hatte ich es beim Zuhören an der erwarteten lustigen Miene fehlen lassen. Aber als ich nach Hause kan:, reichte nur meine Frau mit den: Heiterstei: Lächeln unsre Ortszeitnng, aus der sie jeden Mittag zuerst die Verlobungs- und Todesanzeigen und dann das übrige Vernaschte heransnascht. „Da sieh einmal, wie komisch!" sagte sie und deutete mit dem Finger auf eine Notiz. Natürlich war es die Geschichte von den: Dichter, der sich einen Dichter nannte. Ich las sie noch einmal und erheuchelte einen Heiterkeitsansbruch; dein: wenn man es sogar als klug empfiehlt, mit den Wölfen zu heulen, so halte ich es geradezu für unmoralisch, seiner lachenden Frau nicht lachen zu helfen. Und erst nach Tisch, als ich allein ii: meinem Arbeitszimmer saß, that ich Buße für meine Heuchelei, indem ich mir klar zu machen suchte, was dein: überhaupt an jener Inschrift lächerlich sei.
Diese Frage möchte ich an alle Leser weitergeben, die das Gefcbichtchen feiner Zeit nütgelefen und mitbelacht haben.
Die Antwort wäre leicht, wenn jene Inschrift der Anmaßung eines eitel:: Menschen entsprungen wäre, der sich um einiger nachempfundener Verse willen für einen Dichter hält. Derartigen Leuten gegenüber, die sich mit einen: „Wir Dichter —" von der übrigen Menschheit stolz aus- nehnien, ist das Lachen sehr begreiflich und berechtigt. Aber so liegt die Sache nicht. Es handelt sich um einen Mann, der getrost mit Heine von sich sagen könnte:
„Ich bin ein deutscher Dichter,
Bekannt im deutschen Land;
Nennt man die besten Namen,
So wird auch der meine genannt."
Auch wo er uns nicht zu seine:: Ansichtei: bekehrt, überzeugt er uns doch von seinen: dichterischen Berufe. Obendrein war es den meisten oder doch vielen von uns bekannt, daß jener Main: auch in: „gewerblichen" Sinne keine,: andern Beruf ausübt; er ist lediglich als Dichter thätig und hat keine „Erwerbsquelle" außer seinen Dichtungen. Seine Antwort auf die neugierige Frage des Fremdenbuches
nach „Stand oder Beruf" entsprach demnach vollkommen der Wahrheit. Aber sie widersprach dem Herkommen, und ausschließlich in diesem Widerspruch lag der komische Reiz, der sie allen kundigen Redakteuren als Beitrag zur Erheiterung ihrer Leser willkommen inachte. Wäre der Mann Maler, Bildhauer oder Architekt, so würde niemand in der Angabe der künstlerischen Berufsthütigkeit etwas Lächerliches gefunden haben. Für den Dichter aber ist das amtliche Inkognito vorgeschrieben. Man setzt voraus, daß er seinen Beruf selbst dann, wein: es auch fein einziger Erwerb ist, ebensowenig ausspreche, wie man ihn aus diese,: Beruf anspricht. Vor einige,: Jahrei: brachte ein amtliches Blatt zwei Ordensverleihungen für künstlerische Verdienste, an einen berühmten norddeutschen Dichter und einen berühmten Maler; der erstere wurde einfach als „Professor X." bezeichnet, der andre als „Historienmaler N-, Professor an der Akademie in."
Es wäre thöricht, wem: jemand in dieser Unterscheidung eine Zurücksetzung der Dichtkunst hinter den darstellenden Künsten sehen wollte. Andrerseits wäre es ebenso irrig, hier im Sprachgebrauch eine bewußte Huldigung des Volks- empfindens für die ideale Stellung des Dichters zu wittern, der auf der Menschheit Höhen wandelt und die Güter dieser Erde gern entbehrt, weil er bei Vater Zeus offenen Zutritt hat. Für das Empfinde!: der Menge hängt der Wert jedes ehrlichen Berufes — auch des dichterischen — ganz gleichmäßig von den: Grade materieller Vorteile ab, den er seinen begabte,: Anhängern gewährt. Einer der gemütvollste!: und weltkundigsten Dichter unsrer Zeit, Hans Hoffmann, hat das ii: einen: heiter,: Gedicht sehr hübsch ausgeführt. Er schildert seinen Besuch bei einem millionschwerei: Stecknadelfabrikanten, der ihm mit einer gewissen herablassenden Freundlichkeit guten Tischwein und immerhin rauchbare Zigarren vorsetzt und schließlich auch so beiläufig mal fragt, was denn das Dichten wohl einbringe? „Ach, nicht viel," sagt der Dichter, der seine,: Mann kennt, „zehntausend Thaler bringt so eii: Bündchen, und ich dichte in: Durchschnitt nur zwei Bändchen jährlich!" Dannacht der Hausherr große Augen; seii: Benehmen wird ordentlich achtungsvoll, Johann muß Sekt und Importierte bringen, und
„Die Poesie hat seither
Einen ehrfurchtsvollen Bewunderer mehr!"
Es hat also nichts mit einer „idealen" Abschätzung der Künste untereinander zu thun, wenn wir die künstlerischen Bernfsbezeichnungei: „Maler", „Bildhauer", „Architekt" unbedenklich hören und gebrauchen, den „Dichter" aber als ungehörig bis zum Komischen empfinden. Ganz deutlich bestätigt uns dies ein weiterer Blick auf die Lieblingskunst unsrer Zeit, die Musik. Der Musiker ist heutzutage ohne Zweifel der meistbegehrte und überall willkommene unter den Künstler,:. Auch erfreut sich das Wort „Musiker" als Berufsname ebensogut der amtlichen Anerkennung wie „Maler", „Bildhauer" und so weiter. Diejenigen aber, denen es in allen Ehren zukommt, bedienen sich feiner nur als eines Notbehelfs, den sie sobald als möglich mit etwas Besserem zu vertauschen streben; und dies Besser finden sie durchweg in irgend einem Titel, der auf den wirklichen oder nominellen Besitz eines gewissen „festen Postens" hindeutet, womöglich in Diensten eines Hofes, einer Stadtgemeinde oder einer großen Anstalt: „Kapellmeister", „Musikdirektor", „Hofpianist", „Königlicher Kammervirtuos" und so weiter. Es ist gewiß eine seltsame Erscheinung selbst innerhalb unsrer titelfrohen Nation, daß die Vertreter einer freien Kunst und gerade die freiesten unter ihnen, die reisenden Virtuosen, die Anerkennung ihrer Meisterschaft in irgend einer Bezeichnung fnchen, die sie in: Grunde wieder zu gebundenen Leuten macht. Ja, selbst das Berufswort „Musiker" wird für den, der es in