Der heimlichste Wernf.
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Ermanglung eines Titels führt, nur eben dadurch erträglich, das; es doch wieder einen gewissen Hinweis aus eine feste bürgerliche Stellung dnrchhören läßt; wer diese Stellung nicht hat, ist ein „Musikant", aber kein „Musiker".
Gerade von diesem Punkte aus eröffnet sich uns der Weg, der von den bisher berührten scheinbaren Launen des heutigen Sprachgebrauchs in die Vergangenheit zurückführt. Die heutige Praxis der Musiker im Punkte der Berufs- angabe ist nicht etwa ein Ausfluß der allgemeinen Titelsticht, sondern sie entspricht ganz genau einer Auffassung, die das deutsche Bürgertum bis tief in die Neuzeit hinein völlig beherrschte und auch jetzt noch nachwirkt: der Auffassung von der zünftigen Ehrbarkeit. Unter dem unbewußten Banne dieser rechtlich längst beseitigten Anschauung gilt uns noch heute eine Kunst um so eher als Beruf, je länger und inniger ihre gewerbsmäßige Ausübung dem zünftigen Handwerk gleichgestellt war, ihre Vertreter den ehrsamen Handwerksmeistern gleich geachtet waren.
Für Architekten, Bildhauer und Maler ist diese Gleichstellung ja auch sprachlich noch ganz deutlich vorhanden. In vielen Gegenden Deutschlands bestellt man den neuen Oelanstrich eines Hauses nicht beim Meister Anstreicher, sonder» beim Malermeister, was dann neuerdings in denselben Gegenden die Herren: von der Palette, zumal die jüngeren, verleitet hat, sich mit dem seltsamen Namen „Kunstmaler" zu bezeichnen. Auch die Namen Bildhauer, Architekt oder Baumeister und so weiter sind noch ganz geläufig für Handwerker, deren Können und Wollen keineswegs auf das Schaffen plastischer und architektonischer Kunstwerke zielt. Trotzdem haben die Schöpfer unsrer modernen Denkmäler und Prachtbauten bis jetzt nicht daran gedacht, sich nach dem Vorgang der „Kunstmaler" etwa als Kunstbaumeister, Kunstbildhaner oder Knnstgießer vorzustellen, und daran thun sie sehr wohl. Inden: sie es ihren Werken überlassen, von ihrer Künstlerschaft zu zeugen, bleiben sie in einer Linie mit ihren großen Vorgängern, welche den Dom zu Köln und das Sebaldusgrab zu Nürnberg schufen und dabei doch ehrsame Zunftmeister blieben so gut wie der Meister Stephan Lochner und der Meister Albrecht Dürer. Wenigstens dem Buchstaben des Gesetzes nach hat diese Anschauung, welche den bürgerlichen selbständigen Künstler genau auf dieselbe soziale Stufe rückte und derselben Gewerbeordnung unter- ordnete wie den Meister Bäcker und Schumacher, noch ziemlich weit in die neue Zeit hinein geherrscht. Keineswegs drückte sich in dieser Anschauung eine mißachtende und niederziehende Meinung von der Kunst ans, vielmehr entsprach sie einfach den Grundthatsachen; denn die Kunst war ja erst allmählich aus dein Handwerk heraus erwachsen, und so verstand es sich für die bürgerliche Vorstellungsart auch späterhin ganz von selbst, daß zum Beispiel der Meister Maler auf jeden Fall vor allem sein ursprüngliches Handwerk zu betreiben wußte. Dabei blieb es ihm unbenommen, die allerschönsten Heiligen zu malen und die begabtesten unter seinen Gesellei: und Lehrjungen zu gleicher Höhe herauf- zubilde», aber ein „Meister seiner Zunft" war er von Haus ans dadurch, daß er auch die handwerksmäßigen Leistungen — auf neiideutsch: die Anstreicherarbeitei: — sein und zunftgerecht, mit fröhlicher Hingabe nuszuführen und zu lehren vermochte. Es gehört nicht hierher, zu bedenken, wie diese Forderung der handwerksmäßigen Fertigkeit auf die Eickwicklung der Kunst selber in: Guten und Bösei: gewirkt haben mag. Auf die seelische Entwicklung und Zufriedenheit der einzelnen Künstler wird sie vermutlich, zumal in der späteren Zeit, wo der Zunftgeist in den deutschen Städten greisenhaft, mürrisch und neidisch geworden war, oftmals sehr störend gewirkt habeil. Aber selbst in solchen Fällen mußte sich der Künstler bei ruhiger Ueberlegnng Vorhalten, daß doch eben ii: diesen engen steifen Formen der
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Zunft auch seine und seiner Bernfsgenossen ganze rechtliche Stellung, ihr willig anerkannter Anspruch auf alle Ehren und Rechte eines „ehrsamen Bürgers" beschlossen war. Das zünftige Bürgerrecht einer deutschen Stadt am Ausgange des Mittelalters war ungefähr wie die Stadt selber, sehr sorgsam befestigt, manchmal eng und winkelig, aber bei alledem sicher und im ganzen sehr behaglich. Baukunst, Malerei und Bildnerei mit all ihren kleinen Seitenverwandten saßen von alters her drinnen; der Musik gelang es ab und zu, einige von ihren Dienern auf Schleichwegen hineinzubringen; wer aber gar aus den: Dichten offenkundig seinen Broterwerb machte, der mußte draußen bleibe::.
Um das zu verstehen, müssen nur mit unsrer Erinnerung noch eine Strecke weiter zurückgreifen, zu den Spielleuten und den ritterlichen Sängern. Der fahrende Spielmann des eigentlichen Mittelalters war bekanntlich Dicbter und Musiker zugleich; er erfand zun: Text auch die Weise des Liedes, das er selber vortrug und mit einer vermutlich nur sehr dürftigen Instrumentalbegleitung auf seiner Geige oder Laute nnsschmückte. Damit verdiente er, von Ort zu Ort ziehend, sein tägliches Brot. Es war in alledem noch nichts Ehrenrühriges; aber der Geschmack der Zeit verlangte von dem fahrenden Manne auch noch andre Künste, die heutzutage der Cirkusclown zu treiben pflegt, und indem er sich auch hierzu hergab, wurde der Spielmann ein unehrlicher Mann, da nach den: strengen altdeutschen Ehrbegriff jeder seine Ehre verscherzt, der sich ans solche Weise für Geld zur Schau stellt. Wie das zu gehen pflegt, übertrug sich der Makel auch auf die minder anstößigen Leistungen des Spielmanns, und schließlich erschien jeder unehrlich, der umherzog, um für Geld zu musizieren und zu singen, auch wenn er keine Purzelbäume dazwischen schlug und keinen Schabernack mit sich treiben ließ. Eine ganz andre Würdigung verlangten und fanden natürlich die ritterlichen Dichter und Sänger. Zwar waren auch sie zum Teil für klingenden Lohn nicht unempfänglich, und zum Beispiel der berühmteste unter ihnen, Herr Walther von der Vogelweide, weiß es feinen fürstlichen Gönnern mit großem Nachdruck nahezülegen, daß es weise sei, sich die Gunst eines einflußreichen Dichters mit milden Gaben zu erhalten.- Immer aber empfand jene Zeit einen starken Unterschied zwischen einer solchen Hindeutnng aus ritterlichem Munde und dem berufsmäßigen Trinkgeldsammeln des niedriggeborenen fahrenden Spielmanns, und im ganzen gestaltete sich für die öffentliche Meinung das Verhältnis der ritterlichen Kunst zu der des Fahrenden ungefähr so, wie für unser Empfinden der vornehme „Herrenreiter" zun: Kunstreiter. Als dann das Rittertum von seiner gesellschaftlichen Herrscherstellung herabgesunken war und das demokratische Bürgertum zur Blüte kam, trat gleichsam an die Stelle des ritterlichen Künstlers der bürgerliche Meistersinger — auch dieser noch Dichter, Tonsetzer und Sänger in einer Person und ebenso geachtet wie jener. Der fahrende Spielmann aber, der die Kunst nicht als „Amateur", sondern als Broterwerb trieb, wurde womöglich immer unehrlicher, da das behäbige Bürgertum sich zu allen Zeiten noch viel scheuer von der Berührung mit allen solchen unsicheren Zigeunern der Gesellschaft zurückhielt als die feudale Geburtsaristokratie. Mehr und mehr jedoch drängte sich das Bedürfnis auf, wenigstens eine von jenen Knnstleistungen, die in dem weiten Kreise der Spielmannsthütigkeit beschlossen lagen, auch von „ehrlichen" und seßhaften Leuten vertreten zu sehen: nämlich die Instrumentalmusik. So gelang es manchen tüchtigen Musikanten, in den Verband des ehrliche:: Bürgertums einzuschlüpfen, indem sie von städtischen Magistraten, auch wohl von fürstlichen Höfen zur Ausübung ihrer Kunst privilegiert und damit aus fahrenden Leuten ansässige Meister wurden. Sie durften Gesellen und Lehrjungen annehmen und paßten sich überhaupt der üblichen znnftmäßigen Art des Betriebes
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