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Ueöer Lau
nach Kräften an. Immerhin blieben sie in den Augen des gewerblichen Bürgertums etwas Fremdes, da sie nicht wie die Maler und Tüncher, die Bauleute und so weiter von Haus aus ein gemeinnütziges Handwerk trieben, sondern nnr angestellt waren, um bei Hochzeiten, Aufzügen und so weiter „nach der Kunst zu pfeifen". Daher nannte man sie „Knnstpfeifer", was also gerade kein glänzendes Vorbild für unsre „Kunstmaler" ist.
Ungleich zahlreicher als diese ehrlichen Musiker blieb natürlich die Menge der fahrenden Spielleute, zu denen das Vorurteil des ehrsamen Bürgertums alles rechnete, was irgendwo für Geld „austritt"; unter andern auch die Schauspieler. Alle diese Leute galten als „unehrlich" und blieben es bis tief ins 18. Jahrhundert; ganz besonders hart aber traf die Mißachtung die Berufserben des Spielmanns im engeren Sinne, die sogenannten Singer und Reimsprecher, welche sortfnhren, teils fremde, teils eigne Gedichte ans Märkten und Gassen zu „singen und sagen". In einer Reichspolizei-Ordnung des 10. Jahrhunderts werden diese unglücklichen Bernfsdichter und -sänger, denen wir vielleicht eine Menge unsrer schönsten sogenannten Volkslieder verdanken, geradezu den „Schalksnarren" gleichgestellt. Für sie gab es gar keine Aussicht, ein ehrliches Postchen in ihrem Fach zu bekommen; denn wenn sich auch das deutsche Bürgertum von andern Leuten etwas pfeifen und Heimgeigen ließ, seinen Bedarf an Poesie deckte es auf dem Wege des dilettantischen Nebenbetriebs selber. Zwar die Handwerksmeister verlernten das Dichten und Singen allmählich. Dafür aber nahm das bürgerliche Gelehrtentum, wenn auch nicht das Singen, doch das Dichten ans sich und hat es im Grunde bis zu Anfang unsers Jahrhunderts fast ausschließlich gepflegt. Gelehrte waren die elendesten Verse- macher, die in der Zeit unsrer tiefsten nationalen Erschöpfung, zwischen dem dreißigjährigen und dem ersten schlesischen Kriege, den deutschen Parnaß mit Pappeln bepflanzten, und zu den „gelehrten Ständen" gehörten wiederum auch die großen Dichter, die von der Mitte des vorigen Jahrhunderts an unsre klassische Litteratur schufen. Wenn irgendwo, so dürfen wir bei den letzteren von „dichterischem Beruf" sprechen; für einige unter ihnen, so für Schiller in seiner letzten fruchtbarsten Zeit, war es auch im wirtschaftlichen Sinne der einzige „Berns"; aber weder sie noch ihre begeistertsten Verehrer im deutschen Bürgertum ihrer Zeit würden es begriffen haben, daß einer auf die Polizeifrage: „Was sind Sie?" ernsthaft und ehrlich antwortete: „Dichter".
Längst überwundene Kulturzustünde beeinflussen, wenn sie unsrer Vorstellungswell entrückt sind, noch immer nn- bewnßterweise unsre Sprache. Daß ein hervorragender Maler ebenso wie ein Anstreicher seinen Berns eben als „Maler" angiebt, erscheint uns ganz selbstverständlich, obgleich es immer schon zwei Jahrhunderte und darüber her ist, daß sich die Kunst auch formell vom Handwerk ab- löste. Der Musiker stellt sich am liebsten unter irgend einem Titel vor, der ihm das Ansehen eines „Angestellten" oder- gar eines fürstlichen Hofbediensteten giebt — ganz als ob wir noch in jenen Zeiten lebten, wo eben eine sülche wirkliche oder tituläre Anstellung den „ehrlichen" Musikus aus der Menge der unehrlichen Spielleute heraushob. Daß aber ein Dichter, der keinerlei Amt noch Stelle bekleidet und völlig von seinem Dichten wie für sein Dichten lebt, ans die Frage nach seinem Berufe antwortet: „Ich bin Dichter", — das geht uns wider die Haare, weil sich unsre Vorfahren von den Zeiten der Meistersinger bis vor ungefähr hundert Jahren unter einem anständigen Dichter eben nur eiueu Mann aus der guten Gesellschaft denken konnten, der in den freien Stunden seines „eigentlichen" Berufes — zu seinem Vergnügen dichtet.
Und nun kommt allerdings, wenigstens für das Empfinden der minder Gebildeten, noch etwas hinzu. was die
und Wcer.
Vorstellung eines dichterischen Berufs überhaupt so erschwert: das Dichten ist der — heimlichste Beruf. Den Maler sieht man doch malen, den Musiker spielen und so weiter, aber wo sieht man so einen Dichter einmal dichten? Alan sieht ihn vielleicht spazierengehen, man sieht ihn auf dem Sofa sitzen, man sieht ihn vielleicht sogar einmal schreiben: was hat das aber alles mit dem Dichten zu thun? Für die Vorstellung der kleinen Leute liegt da ein unlösbares Rätsel, und die Lösungsversnche, die man gelegentlich belauscht, sind sehr lehrreich. Dnrchgehends aber liegt ihnen eine Ansicht zu Grunde: wer dichten kann, der muß schrecklich viel „studiert" haben. Oder wie mir einmal ein junger Bauer sagte, der in meinem Zimmer den Namen Goethe unter einen: Porträt las: „Das ist der berühmteste Dichter, nicht wahr? Ach, wenn ich dem seine Kenntnisse hätte!" Ich weiß nicht, ob er vorhatte, in diesem Falle auch so zu dichten wie Goethe; aber jedenfalls war er überzeugt, daß mit dem Besitze der „Kenntnisse" die Hauptsache gewonnen sei. Wahrscheinlich klingt auch in dieser volkstümlichen Anschauung wieder eine unbewußte kulturgeschichtliche Erinnerung nach — an jene Zeiten des vorvorigen und selbst noch des vorigen Jahrhunderts, wo der Dichter wirklich vor allem „gelehrt" schreiben mußte und an den deutschen Universitäten der Titel „Professor der Poesie und Eloquenz", der jetzt noch einigen ordentlichen Professoren der klassischen Philologie von Amts wegen anhastet, ganz wörtlich gemeint war. Pflegen doch auch die gebildeten Leute, besonders die Damen, jeden Dichter, der „sonst nichts ist", als „Herr- Doktor" anzureden. Also „wissenschaftliche Bildung" muß man haben — das Dichten geht dann nachher von selber, ohne daß die andern es merken. Es ist eben der heimlichste Beruf — und auch darum finden wir es „komisch", sich in einem Fremdenbuch oder an andern öffentlichen Orten ohne Scher: zu ihm zu bekennen.
Line Srcruenhand.
Mtleich, krankhaft bleich die schmale Frauenhaud, Daran ein Ring, aus reinein Gold geschlagen; Ein schlichter Reisen, ohne Stein und Tand,
Des Glucks Symbol in seligen Iugendtagen.
Seitdem ist nun so manches Jahr verweht —
Vielt ihr der Reis, was einstmals er versprochen? Ach — wer die Sprache jener Hand versteht,
Der fühlt es wohl, daß er sein Wort gebrochen.
Nicht in das still erträumte Paradies Nat er sie eingeführt mit seinem Glanze;
Iris Märchenreich nicht, das er ihr verhieß,
Als sie ihn fromm geküßt im Myrtenkränze.
Die arme, müde chand — inan sieht's ihr an,
Daß sie sich oft in bangem Flehn gefaltet,
Bevor das Blut, das einst so feurig rann,
In ihren Adern mehr und mehr erkaltet.
Von Thränen spricht sie, die nur Einer weiß,
Von einem zitternd hingestorbnen Mute —
Auch davon, daß sie matt und fieberheiß, Verschwiegen nachts auf krankem Nerzen ruhte. —-
Und ob auch Spitzen rieseln am Gewand,
Gb sie umhüllt von köstlich schwerer Seide,
Man fühlt es doch: die bleiche Frauenhand Trägt ihren Ring zu tiefen: Seelenleide.
Gertrud Triexet.