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Kleber ^Land und Meer.
Der pariser Nöerufsvettler.
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Er wählte den unausgesetzten, unmittelbaren Verkehr mit der Natur. Vier Jahre hielt er sich in Brianza in den Voralpen südlich vom Comosee ans, dann zog er nach Savognino (Schweiningen) in den Graubündner Alpen, wo er acht Jahre lang blieb; spater ließ er sich in Maloja nieder, das er zuletzt mit Soglio (in Lberitalien, im Distrikt von Asti) vertauschte. Seinen ersten großen Erfolg erzielte Segantini auf der Ausstellung in Amsterdam, 1883, wo er die große goldene Medaille erhielt.
Die Periode von Savognino brachte dem Künstler einen: noch größeren Ruf im Auslande; in London wurde er 1888 und in Paris 1889 mit den höchsten Auszeichnungen bedacht.
In dieser Zeit entwickelte sich Segantini znin Maler der Alpen zurr exeoilaneo.
Tie Einsamkeit, die beständige Berührung mit den großen Schauspielen in der Natur, die Reflexion, die Konzentrierung aus sich selbst brachten den Künstler zur vollen Entfaltung seiner Persönlichkeit und ließen in ihm den Uebergang von dem Maler der Natur zum Maler der Ideen sich vollziehen.
Aus der letzten SchnffenSzeit de- Künstlers stammt die Darstellung, die nur bringen: „Tie Liebe am Lebens- gnell", auch als „Jungbrunnen" bezeichnet, nach eineni Oelgemälde, da- sich in der Nationalgalerie zu Florenz befindet. Es handelt sich dabei nicht um den „Jungbrunnen", wie er die Künstler von der Zeit der Renaissance bis ans unsre Zeit beschäftigt hat, um einen Quell, der den Alten und Kranken neue Kraft und Jugend giebt.
Wir stehen vielmehr einein Hymnus aus Jugend und Liebe gegenüber. Er und sie, in lichte weiße Linnengewänder gekleidet, die die Kraft und Schönheit ihrer jungen Körper durchscheinen lassen, Erzengeln gleich, die in das Himmelreich einziehen, nähern sich über ein von schimmernden Bergen umgebenes Gelände blühender Alpenrosen einem sprudelnden Quell, wo sie ein Engel mit weißen Flügeln in strahlender Pracht erwartet. Sie scheinen ewig jung, einig schön, ewig glücklich sein zu wollen, und sie werden es auch sein, sobald sie aus der. göttlichen Quelle getrunken haben. i>.
deren Schmarotzer sie so recht eigentlich sind, abgesondert, so wird es sehr leicht sein, dem Bernfsbettlertum den Garaus zu machen. Der eine Teil wird ins Irrenhaus geschickt werden, der andre durch Verweigerung von Almosen und durch sonstige Zwangsmittel zur Arbeit an-
Bettler mehr!" am meisten beitragen. Doch einstweilen ist der Berufsbettler in Frankreich, und zumal in Paris, eine Thatsache, mit der man rechnen muß. Er ist, wie ich schon hervorhob, recht eigentlich der schamlose Schmarotzer der verschämten Armen.
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Eugen v. Jagow.
sie Bettelei kann in Frankreich, wie in andern Ländern auch, erst wirksam bekämpft werden, wenn die gesellschaftliche Organisation so weit vervollkommnet ist, daß allen Arbeitslosen sofort Arbeit geschafft wird, daß alle Arbeitsunfähigen, Kranke, Kinder und Greise, jederzeit versorgt sind. Hat Inan ans diese Weise die Arbeitsunlustigen, die von Richepin und ähnlichen Dichtern verherrlichten Landstreicher von den wirklich Hilfsbedürftigen,
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Die Liebe am Lebensaueil (Jugendbrunnen). Nach dein E
Aus „Die graphische!! Künste", Jahrg. XX, Heft V
gehalten werden. Eine der Hanptnrsachen der Arbeitsunlust und des Familienelends ist überdies der AlkoholismnS, dessen Statistik den Franzosen unter den Völkern Europas bereits den wenig beneidenswerten zweiten Platz anweist. Seine energische Bekämpfung wird zur Verwirklichung des von Jahrhundert zu Jahrhundert vererbten Ideals „keine
einWssion Giovanni segantini in der Nationalgalerie zu Florenz, und VIZKchig der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst in Wien.)
Bevor ich mich mit den verschiedenen Masken und Kniffen des Berufsbettlers' beschäftige, zunächst einige Worte über seine „Zunft" und deren Einrichtung. Das ist in der That vielleicht die einzige Zunft, die es in Frankreich noch giebt, mit selbstauferlegten Latzungen, die beispielsweise das Recht verleihen, nicht nur nicht befugte, das heißt nicht be
rufsmäßige, sondern sogar berufsmäßige Bettler vom Betriebe des edeln Gewerbes in ihrem Bezirk, beispielsweise vor dieser oder jener Modekirche, auszuschließen. Eine Uebertretung jener Satzungen ist viel seltener als die des siebenten Gebotes und wird von den Geschädigten und deren Geschäftsfreunden alsbald mit der Krücke oder andern gefährlichen Waffen unbarmherzig geahndet. Vor kurzem kam es vor der Kirche von Saint-Germain- l'Aurerrois zu einem heftigen Kampfe, wobei sich wahre Wunder zutrugen: Blinde wurden sehend und versuchten Krüppeln, die plötzlich ihr zweite? Bein wieder fanden, die Augen anS- zukratzen, bis der Schweizer, mit seiner Hellebarde aus der Kirche herbeieilend, den Frieden wieder herstellte.
Die Berufsbettler haben zwar keinen Zunftmeister, aber dafür Agenturen, die das Geschäft vereinheitlichen, die Bettler in Sold nehmen, zu den Festtagen und bei andern großen Gelegenheiten Hilfstruppen aus der Provinz verschreiben und ihre Kriegsscharen an diejenigen Punkte der Weltstadt werfen, wo die scherbare Schafherde am dichtesten ist. Nach beendigter Schur erhebt die Agentur ihre Abgaben und sorgt für die Beköstigung und Unterkunft ihrer Gäste. Neben diesen Vermittlungsgeschäften giebt es auch eine Bettlerbörse, ivo unter anderm gute Plätze gehandelt und verkauft werden, denn wie im allgemeinen der Franzose, so hat im besonderen der durch und durcb konservative französische Bettler die höchste Achtung vor erworbenen Rechten. Derartige Plätze können natürlich auch vererbt werden oder als Mitgift dienen. Ein im Berns ergrauter, „arbeitsmüder" Bettler beispielsweise will in einem seiner Häuser von seiner Reute leben, und so giebt er denn dem Schwiegersohn seinen Platz, sein „Amt" vor der Madeleine, das den Braut- schatz vollkommen überflüssig macht. Wo giebt es in der weiten Welt einen Beamten, der dies schöne Beispiel nachzuahmen und nach seiner Verabschiedung den Schwiegersohn an seine Stelle zu setzen vermöchte!
An der Bettlerbörse, die, wie so viele andre, im Freien abgehalten wird, sind auch Listen feil, welche die Namen der Anbettlungswürdigen enthalten. Nicht etwa nur trockene Namen und Bestimmungen, nein, alles, was zu wissen notwendig ist, um Herrn N und Frau P sicher übers Ohr zu hauen. Die nachfolgenden Beispiele werden eine sichere Vorstellung von dem Inhalt eines solchen Vademekums geben : „I. S., Fabrikant. Wohnte lange Zeit in M. und stand dort an der Spitze einer großen Fabrik. Sagen Sie, daß Sie beim Tode Ihres Mannes Ihr Vermögen verloren, daß Sie Kinder haben und so weiter, sie können Ihre Miete nicht bezahlen, dann giebt er. Spätestens
7 Uhr morgens zu ihm gehen." — „Doktor W. Vortrefflich.
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Giebt 20 Franken "
Doktor S. Gut. 0 Franken/
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