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Melier Land und Meer.
— „Frau F. Brieflich. Geben Sie sich für die Witwe eines Musikers aus, der ihren Alaun gut gekannt hat. Kündigung Ihrer Wohnung eiufchicken, aber nicht unter meinem Namen. Habe zweimal 20 Franken und einmal 10 Frauken erhalten." — „General B . . . . Klerikal. Habe ihn vorigen Januar mit 20 Franken hineingelegt. Weinen Sie."
lieber die Straßenbettler nur wenige Worte; sie sind in allen Großstädten, deren Besonderheiten sie sich trefflich anzupasseu verstehen, ziemlich dieselben. Die blinden Bettler von Paris sind jedenfalls fast alle sehend. Ich kenne eine Bettlerin, deren Eigentümlichkeit es ist, ihnen als Stecken und Stab zu dienen. Zurzeit führt sie ihren dritten „blinden Gatten" durch die Straßen, da sie sich mit den beiden andern bei der Teilung des Raubes entzweit hat. Um den Krüppel mit einem Arm oder ohne Arm zu spielen, mietet man eine mechanische Vorrichtung: 20 Franken Pfandgeld, einen Franken Tagesmiete. Den Einbeinigen kann man dagegen ohne kostspielige Vorrichtung spielen. Von zwei Brüdern, die im Kriege verwundet sein wollen, verbirgt der eine den Unterschenkel, indem er ihn hinten emporbiegt und am Oberschenkel befestigt, wodurch ein Stummel entsteht; der andre läßt mit akrobatenhaftem Geschick — ich weiß nicht, wie — das ganze Bein verschwinden. Beide verdienen täglich 20 bis 22 Franken, abgesehen von dem geschenkten Brote, das sie regelmäßig an einen Hundebesitzer verkaufen. Mir ist ferner ein Bernfsbettler bekannt, der auf den großen Boulevards neun Monate laug ein einbeiniges Dasein führt und während der drei andern Monate in einer von Badeort zu Badeort wandernden Truppe erster Tänzer ist. Ein andrer Einbeiniger bettelt in Paris und wohnt wie ein behäbiger Bourgeois in der Umgegend, wo man ihn für einen Beamten des Justizministeriums halt. An Taubstummen, die ihre Sprache wiederfinden, wenn es Schnaps und Absinth zu bestellen gilt, fehlt es so wenig wie an solchen Bettlern, die Krankheiten heucheln, mit Vorliebe den Veitstanz und die Epilepsie. Und „der arme Arbeiter ohne Arbeit", „der ehemalige Militär", der Unglückliche, der im Winter seine wollenen Unterjacken unter Lumpen oder fadendünnen Stoffen verbirgt und jämmerlich mit den Zähnen klappert, oder jener andre, der Geld verloren zu haben vorgiebt und heult und flennt, — das sind Bettlertppen, denen wohl schon jeder begegnet ist. Während der großen Winter- kalte des Jahres 1890 hatte man in den Hallen des Marsfeldes 700 Arbeits- und Obdachlose von Staats wegen beherbergt, bewirtet, bekleidet. Eine wohlthätige Anstalt bot ihnen sämtlich Wohnung, Nahrung und einen freien Vormittag, um sich Arbeit suchen zu können, unter der Bedingung, daß sie nachmittags Holz spalteten. Am dritten Tage war die Legion zu einem Häuflein von elf Alaun zusammengeschmolzen — das Betteln ist eben bequemer und bringt mehr ein! Ein neuester Bettlerkniff besteht in folgendem : Vor einem Omnibushalteplnh werden die Damen
— besonders, wenn sie es eilig haben — von einer angeblich in ähnlicher Lage befindlichen, anständig gekleideten Dame, die ihre Geldbörse vergessen hat, um das nötige Kleingeld (15—30 Centimes) angegangen, und selten umsonst.
Die Ausbeutung der Geistlichkeit und frommer Gemeindemitglieder wird in der Hauptstadt der Kirchenbettelei selbstverständlich schwunghaft betrieben: man möchte wohl eine wilde Ehe in eine regelmäßige verwandeln, sein Kind taufen lassen, aber es fehlen die Mittel dazu — und Geld und Kleidung wird den vermeintlichen Opfern der unvollkommenen Gesellschaftsordnung reichlich gespendet. Wenn diese ihr Versprechen hielten, würde manches ihrer eignen oder gemieteten Kinder ein dntzendmal und häufiger getauft worden sein. Die nachfolgende Geschichte diene als würdige Krönung des weiter oben Mitgeteilten: Ein Geistlicher wird in die
Dachkammer eines Sterbenden gerufen, um ihm den letzten Trost zu spenden. Er findet indessen nur noch einen Toten, vor dessen Bett eine die Hände ringende Witwe kniet. Nachdem er diese getröstet, ihr ein Goldstück in die Hand gedrückt und neue Spenden zur Bestreitung der Begräbniskosten versprochen hat, verläßt er die Stätte der Trauer. Ans der Straße bemerkt er, daß er seinen Schirm vergessen hat, kehrt zurück, öffnet, ohne anzuklopfen, und siehe da: als ein neuer Lazarus sitzt der Tote am Tisch und leert mit seiner untröstlichen Witwe — vermutlich auf die Gesundheit des frommen Spenders! — eine Flasche Burgunder.
Das moderne VeteuchLungswesen.
^ Von
W. Jolticineano.
E^it dem sagenhaften Lichtdiebstahl des Prometheus sind viele Jahrtausende vergangen, aber der Prozeß für j die Erzeugung künstlichen Lichts ist bis auf unsre Tage ! derselbe geblieben. Wir haben im Laufe der letzten vierzig Jahre neue Lichtquellen anfgefnnden. die vorhandenen verbessert, allein die Lichterzeugnng besteht immer noch in der j Hervorbringung eines Verbrennungsprozesses, bei dem eine ! ungeheure Menge von Wärme entwickelt wird. Wir unter- werfen unsre Lichtquellen einem chemischen Prozesse, dessen Hauptprodukt, die Wärme, für den beabsichtigten Zweck nicht bloß nutzlos, sondern geradezu schädlich ist, uni uns eine Nebenerscheinung dieses Prozesses, das Licht, dienstbar zu machen. Das große Geheimnis, wie Licht ohne Wärme zu ^ erzeugen sei, haben unsre Naturforscher noch nicht ergründet.
! Die Leuchtkäfer, Johanniswürmchen und Fenerfliegen ent- j wickeln ein intensives Licht ohne Wärme; besonders letztere j leuchten so stark, daß man beim Glanze von drei, vier j Exemplaren dieses amerikanischen Käsers bequem lesen kann.
Indessen dürfen wir trotzdem mit unsrer modernen Be- j leuchtnng zufrieden sein, und lebte Liebig noch, so würde ? er nicht mehr die Seife, sondern das künstliche Licht als j den Gradmesser der Kultur bezeichnen.
In der That bildet die bessere Ausbeutung der vorhandenen und die Auffindung neuer Lichtquellen eine Hauptbeschäftigung der modernen Technik, und nichts nuanciert besser die Fortschritte zwischen den Kulturzentren und dem flachen Lande, zwischen hochentwickelten und zurückgebliebenen Nationen, als das moderne Beleuchtungswesen. Eieklricität, Leuchtgas, Petroleum, Acetylen, Spiritus sind in einen scharfen Wettbewerb eingetreten. Helligkeit kämpft gegen Wohlfeilheit, leichte Verwendbarkeit gegen die umständliche, an den Ort gebundene Einrichtung; der Kampf ist noch l nicht entschieden, er wird auch ins zwanzigste Jahrhundert ! hinein toben, denn er hat, im Grunde genommen, erst vor ! kurzem begonnen. Das Leuchtgas aus Steinkohlen ist als allgemeines Belenchtiingsmittel erst fünfzig Jahre alt, die Elektrieitüt als Lichtquelle keine zwanzig, das Petroleum kaum fünfundzwanzig Jahre, während Spiritus und Acetylen sich erst im Zustande des Embryo befinden.
Der Verbrauch künstlichen Lichts ist ein ungeheurer;
! in den großen Städten wie Berlin, Paris, London, New Port zählt er nach Milliarden Stundenkerzen. In Berlin dürfte er über 25 Milliarden Stunden, in Paris etwa 40 Milliarden Stunden betragen. Das heißt, eine als Lichtmaß angenommene Normal- oder Meterkerze müßte in Berlin über 25 Milliarden Stunden oder etwa 3 Millionen Jahre brennen, um dein Verbrauch an Licht gleichzukommen, der innerhalb eines Tages erfolgt. Die Normalkerze ist bekanntlich eine Parafsinkerze von zwei Centimeter Durchmesser, mit einer Flammenhöhe bis 5 Centimeter, oder die Hesnersche Amylacetatlampe mit einer Flammenhöhe von