Heft 
(1897) 09
Seite
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Ueöer Land und Meer.

Eine Weile murmelte er noch allerlei in den Bart. Dann bezahlte er und ging. Auch der Kleine, dem Johanna noch einige Abziehbilder in die Hand ge­drückt hatte, opferte seinen Nickel und zog in einer trunkenen Glückseligkeit ab.

Jetzt war die Reihe an Karl. Er trat heran und grüßte. Er hatte sich einen Scherz ausgedacht während des Wartens. Ihr kamen den Tag über so viel fremde Gesichter vor. Ob sie ihn wohl er­kennen würde mit seinem blonden Vollbart, in seinem leichten Embonpoint?

Sie wünschend" fragte sie höflich.

Schreibpapier haben Sie wohl in guter Sorte?"

Sie stutzte, sah ihn scharf an, schien ihrer Sache noch nicht ganz sicher.O gewiß" sagte sie dann zögernd.

Sie wandte sich um, kramte eine Weile wie unschlüssig in allerlei Schubfächern herum Karl schien's, als wenn ihre schlanken, bläulich-weißen Hände leise zitterten und plötzlich kehrte sie ihm ihr Gesicht zu und sah ihn fest und mutig au.

Ja, Sie sind's," sagte sie und wurde schnell hintereinander blaß und rot.Aber ich hätte Sie nicht erkannt, wenn mir Hubert nicht gesagt hätte ..."

Er reichte ihr über den Ladentisch die Hand. Ja, ich bin's," sagte er.Ich habe mich also ver­ändert?"

Sie lachte, und nun stand aus einmal die ganze innige Heiterkeit auf ihrem Gesicht, die er auf ihrem Bilde so bewundert hatte.Wissen Sie denn nicht mehr Ihren Kneipnamen? .Sardelle' das paßt doch nicht mehr auf Sie? Aber nicht wahr, mit dem Einkauf hat's keine Eile? . . . Bitte, treten Sie näher..."

Sie schlug eine Klappe des Ladentisches zurück und ließ ihn durch diese Passage in den schmalen Gang eintreten. Dann öffnete sie eine Glasthür, bat ihn, im Wohnzimmer Platz zu nehmen, und huschte, da im Augenblick die Glocke ertönte, mit einer schnellen Entschuldigung in den Laden zurück.

Karl Wedekind atmete aus. Gott sei Dank, jetzt hatte er Zeit, ins Gleichgewicht zu kommen!

Im ersten Moment war's ihm peinlich gewesen, sieFräulein Johanna" zu nennen. Ueberall stand das Geschehene spitz, stachelig, verfänglich zwischen ihnen. Ueberall fürchtete er anzustoßen, sie zu ver­letzen, zu beschämen.

Aber noch einmal Gottlob! sie war ja gar nicht die zerknirschtebüßende Magdalena"! Ihre Ruhe und Sicherheit ging wohlthätig in ihn über. Voll Interesse sah er sich in dem Zimmerchen um, in dem alles anheimelnd war, sauber, gepflegt. Möbel und Dielen glänzten wie Kastanien, die eben aus der stacheligen Hülle gesprungen sind. Die Lampe auf dem runden Tisch brannte mit reinem goldigen Licht. Die Weiße Decke, die über den Tisch gebreitet war, schien eben frisch gestärkt und geplättet. Ein Sträußchen von Reseda und Veilchen stand in einer Vase von blauem Glase und duftete süß nach Frühling. Irgendwo mußten auch Aepfel stehn. ! Richtig, in der Porzellanschale auf dem Vertiko! Und nun wurde ihm alles aus einmal wieder ganz ^

vertraut. Das waren ja die alten Göttinger Möbel, die ihre Mutter mit in die Ehe gebracht und ihr vererbt hatte.

Nichts verriet den großen Wechsel jn ihrem Leben, nichts das Dasein eines Kindes. Ja, doch: dort in der Fensterecke der kleine Tisch mit dem Stühlchen davor, die paar bescheidenen, wohlgeordneten Spiel­sachen.

Karl Wedekind that die Augen fort und mußte doch wieder Hinblicken. Wie hübsch das war, das Winkelchen! Wie's das Stübchen erst gemütlich machte!

Nun fiel ihm auf einmal Huberts ödes Zimmer ein. Da begriff er's, daß dieser Stimmungsmensch, der bei aller Kraft und Schroffheit doch weich und liebebedürstig und Zärtlichkeit-Heischend war wie ein Kind, diesen warmen, sicheren Schlupfwinkel brauchte, um sein hartes Kampfleben zu ertragen.

Nur wunderte er sich wie die Sachen ein­mal lagen, daß er so weit ab von diesem fried­lichen Nest sich einquartiert hatte. Es war ja bei­nahe eine Tagreise bis hierher. Wie selten konnte er sie sehen!

Da ging die Klingel wieder. Er hörte, daß die Thür geschlossen und die Rolljalousie herabgelassen wurde. Dann trat Johanna ein und bat ihn, da er noch in seinem dicken Ueberzieher saß, abzulegen.

Während er es that und sie ihm behilflich war, den schweren Nock an einem Riegel an der Thür auszuhängen, sagte sie heiter:Sie haben Glück. Heut abend, hoff' ich, wird Hubert kommen."

Kommt er denn nicht täglich?" fragte er, sich wieder setzend.

Ach nein," ein Schatten flog über ihr Gesicht er hat so selten Zeit."

Arbeitet er denn den ganzen Tag?"

Wie es kommt, je nach der Stimmung, lieber Herr Doktor. Und damit ist's unberechenbar. Aber wenn er lange nicht hier war, so weiß ich wenigstens: er ist im Zuge, es glückt ihm. Und dann wie sehr ich ihn auch entbehre, bin ich doch froh."

Wenn er dann wiederkommt, ist er wohl sehr vergnügt?"

Sie hatte sich ihm gegenübergesetzt und sogleich eine Handarbeit vorgenommen, einen kleinen, rosigen ! Wollstrumps.Vergnügt?" sagte sie aussehend, nach- ! dem sie bedächtig eine sinkende Masche aufgefangen ! hatte,Sie kennen ja Hubert. Immer nur seine Arbeit. Und nie zufrieden mit sich. Lieber Gott, das ist wie ein ewiges Feuer, ein innerer Vulkan. Mir ist manchmal, als erlebe ich einen Bergsturz, oder einen Gewittersturm, oder sonst was Großes, ein Naturereignis . . . Man zittert und bebt förmlich. Von ,Vergnügtsein' ist da nicht viel die Rede." Sie lächelte.Aber darauf kommt's ja auch nicht an. Wenn ich ihm nur alles vom Halse halten könnte, Aerger und Sorgen. . . Das quält ihn ja tausendmal mehr wie andre Menschen..."

Natürlich."

Ich bin schon froh, daß er mich manchmal das Abschreiben besorgen läßt oder das Korrektur­lesen ..."