Das steiermärkische kulturhistorische und Kunstgeiverkemuseum am Joanneum in Hraz. 389
Das steiermärkische kulturhistorische und Kunstgewerbemuseum am Joanneum in Ä>ra?.
(Siehe die Abbildungen Seite 384 und 385.)
HMs sich im Laufe des letzten Jahrzehntes eine zeitgemäße «E Um- und Ausgestaltung des Grazer Joanneums, dieser ehrwürdigen Schöpfung des unvergessenen Wohlthäters der Steiermark, Erzherzogs Johann, als notwendig erwies und zur Durchführung gelangte, war wohl die Errichtung eines neuen kulturhistorischen und Kunstgewerbemuseums das wichtigste Ergebnis dieser durchgreifenden Maßregel. In der Neuthorgasse, gegenüber dem alten Joanneumsgebäude, wurde ein stattlicher Neubau im Barockstile für die neugegründete Landesanstnlt errichtet und, nachdem er die mittlerweile von Professor Karl Lacher, dein neu ernannten Direktor des Museums, mit ebensoviel Verständnis als Glück gesammelten Gegenstände in zweckentsprechender Anordnung ausgenommen hatte, im Juni 1895 in Gegenwart des Kaisers Franz Joseph feierlich der Oeffentlichkeit übergeben. Seither haben schon viele Tausende die hier angehäuften Schätze bewundert und die Erkenntnis in weiteste Kreise getragen, daß das neue Museum sür Graz und ganz Steiermark eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges bedeute. Zahlreiche hervorragende Fachleute des In- und Auslandes haben ebenfalls über das Museum die günstigsten Urteile gefällt und sowohl den zur Schau gestellten Gegenständen als auch namentlich ihrer vorzüglichen Aufstellung uneingeschränkte Anerkennung gespendet.
Diese Aufstellung, die ein Verdienst Direktor Lachers ist, vereinigt in äußerst glücklicher, durchaus origineller Weise die ethnographische Seite mit der systematischen und ermöglicht es, einerseits dein Beschauer ein ebenso anziehendes als lebensvolles Bild von dem Wohnen, dem häuslichen Leben und Schassen der Bewohner von Steiermark in den verschiedenen Gesellschaftsschichten vom Ausgange des Mittelalters bis aus unsre Tage zu bieten und daneben andrerseits kunstgewerbliche Muster- und Vorbildersammlungen zur Anschauung zu bringen.
Eine Reihe vollständiger Wohnräume, von dem adligen Prunksaale, dem bürgerlichen Zimmer, der Wirts- und Bauernstube des sechzehnten Jahrhunderts an bis heraus zum Empirezimmer im Anfänge dieses Jahrhunderts, kann der Besucher durchwandern und sein Auge au ihrer vollständigen Einrichtung erfreuen. Ofen, Tisch, Geschirr, kurz aller Hausrat ist darin so ausgestellt, wie es der Zeit und Herkunft entspricht. Mit Recht bilden diese altsteirischen Wohnräume den größten Anziehungspunkt des Museums — kann sich doch keine andre Schausainiiilung in deutschen Landen, weder im Reiche noch in Oesterreich rühmen, etwas Aehnliches zu besitzen. Wenn der Besucher diese trauten, stimmungsvollen Wohnräume durchwandelt, mag er sich im Geiste in die Jahrzehnte vor dem unseligen Dreißigjährigen Kriege versetzt fühlen, also in jene Zeit, in der das deutsche Bürgertum und mit ihm das deutsche Kunstgewerbe ihre schönste Blüte entfaltet haben. Jene Einrichtungsgegenstände, die in den Wohnräumen nicht untergebracht werden konnten oder ihrer Art nach nicht hiueingehören, wurden, nach Herstellungs- stoff und Gebrauchszweck geordnet, in eignen Gruppen vereinigt.
In den drei Stockwerken des Museumsgebäudes sind die vollständig eingerichteten Wohnräume und die Gruppen einzelner Gegenstände in der Art verteilt, daß im Erdgeschoß der vornehme, in: ersten Stock der bürgerliche und im zweiten Stock der bäuerliche Besitz vorherrschen.
Im Erdgeschoß fesselt das Auge des Beschauers vor allem der große, aus dem Schlosse Radmannsdors bei Weiz herrührende Prunksaal, eines der hervorragendsten Schaustücke des Museums. Es ist schwer, sich einen Raum zu vergegenwärtigen, der reiche, geschmackvolle Vornehmheit mit wohnlichem Behagen in so harmonischer Weise verbindet, als dieser prächtige Saal, dessen innere Ausstattung,
Ueber Land und Meer. Jll. Okt.-Hefte. XIV. d.
in den Jahren 1563 und 1564 gearbeitet, durchaus das Wesen der deutschen Renaissance zeigt. Eine reichgegliederte Kassettendecke, zwei bis zur Decke reichende, mit reichem Jntarsienschmucke gezierte Portale, denen sich ein Waschkasten und zwei Wandschränke anreihen, bilden den gesamten Holzschmuck des geräumigen, mit einem traulichen Erker versehenen Saales. Die Wand unterhalb des Frieses ist mit einem brokatartigen Stoffe behängt und oberhalb desselben mit Wandmalereien geziert, die genau nach der ursprünglichen Nadmannsdorser Bemalung ausgeführt sind und, von reichem Ornament umgeben, die Porträtköpfe der Kaiser Albrecht II., Friedrich III., Maximilian I. und Karl V. sowie das Nadmannsdorser Wappen zeigen.
An den Pruuksaal reiht sich eine Halle mit größeren, kulturgeschichtlich bemerkenswerten Gegenständen, unter denen der erste Platz entschieden dem Wagen Kaiser Friedrichs III. gebührt, einem hervorragenden Werke der Wagenbaukunst des fünfzehnten Jahrhunderts, das, im gotischen Stile aus- gesührt, mit architektonischen Motiven, dem Reichsadler und zahlreichen Wappen geschmückt ist. Auch des Kaisers Wahlspruch, „sO bl. I. 0. II." (^.rmtrias est impsrarg omni nnivkrso, Oesterreich geziemt es, dem Weltall zu gebieten), fehlt nicht.
Sonst enthält das Erdgeschoß noch die Gruppen für Rechtspflege, Jagd, geschichtliche Bildnisse und dergleichen mehr, die steirischen Thonöfen und eine Mustersammlung von Ofenkacheln.
Von den vier im ersten Stockwerke befindlichen vollständigen Wohnräumen, zwei Renaissancestuben, einem Rokoko- und einem Empirezimmer, gebührt den beiden zuerst erwähnten die Palme. Die eine von ihnen, die sogenannte Bürgerstube, bildete ursprünglich die Zierde des bei Neumarkt gelegenen Wohnhauses der Eheleute Matthäus und Katharina Latacher, auf deren Veranlassung sie 1607 angefertigt wurde. Sie besitzt eine vollständige Holzvertäfelung und eine Balkendecke und enthält an zwei Seiten je zwei Fenster mit schmiedeeisernen Gittern und Butzenscheiben, mehrere Wandkästchen und Schränkchen, sowie eine umlaufende Bank mit gedrechselten Füßen. Den Hauptschmuck bilden an den beiden fensterlosen Wänden zwei architektonisch gegliederte Portale, deren Friese mit Sprüchen und den Namen der Besitzer geziert sind.
Mit dem Latacherschen Zimmer durch eine Thür verbunden ist die altsteirische Wirtsstube vom Jahre 1577. Sie stammt aus dem Einkehrwirtshause zu Mösna im Großsölkthäle und hat bis zu ihrer Erwerbung im Jahre 1885 durch Direktor Lacher ihrem ursprünglichen Zwecke als Wirtsstube gedient, zuletzt allerdings nur bei besonders festlichen Anlässen. So wurden namentlich Hochzeiten in ihr gefeiert, weshalb sie auch die Hochzeitsstube genannt wurde. Sie enthält eine vollständige Wandvertäfelung aus Zirbenholz mit Einlagen von Nuß-, Eichen- und Ahornholz, eine Balkendecke mit kräftigem Durchzug und zwei reichgegliederte Portale. Neben einem derselben befindet sich ein Waschkästchen mit Handtuchrolle und an der gegenüberliegenden Wand ein Schränkchen. Die Fenster sind sogenannte Schubfenster, mit schmiedeeisernen Gittern und Butzenscheiben versehen.
Zu diesen vollständigen Wohnräumen des bürgerlichen Besitzes gesellen sich im ersten Stockwerk einzelne Teile aus solchen Wohnräumen, Zunft- und Herbergszeichen, Maße und Gewichte, Bronze- und Zinnarbeiten, die Abteilung für kirchliche Kunst, die Mustersammlung sür die Holzindustrie und die besonders prächtige Eisensammlung, die in ihrer Fülle und Mannigfaltigkeit ebenso eine Besonderheit des Museums bildet wie die altsteirischen Wohnstuben. Die zahlreichen kunstreichen, für die verschiedensten Zwecke bestimmten Werke, die in der Eisensammlung aufgespeichert sind, lassen den Beschauer erkennen, daß die Steiermark nicht nur ihrem Erzreichtum, sondern auch der hohen
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