Heft 
(1897) 09
Seite
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Zu unfern Wildern.

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Jahre 1875 in Deutschland mit seine»: SchauspieleEin Fallissement" fand, war einer der größten, von dem die neuere Theatergeschichte zu melden weiß. Dem Stücke er­ging es beinahe ebenso, wie es hundert Jahre zuvor dem GoetheschenWerther" ergangen war: es wirkte weit über die künstlerischen und litterarischen Kreise hinaus und be­schäftigte die Gemüter derart, daß man seinen Charakter vollständig vergaß; man faßte feinen Inhalt nicht mehr als den einer Dichtung, sondern als Darstellung einer wirk­lichen Begebenheit ans und stritt sich selbst in Fachkreisen über die Verhältnisse des Handelshauses Tjälde, über die von dem Leiter desselben aufgestellte Bilanz und deren Be­mängelung durch den bissigen Advokaten Bereut, als ob das berüchtigteFallissement" sich nicht in dem Poeten­landeUeberall und Nirgends", sondern in dieser oder jener nordischen Hafenstadt abgespielt hätte.

Björnson war der erste, der uns den Reiz der Wirklich- keitsdichtuug kennen lehrte, zu einer Zeit, als der moderne französische Roman naturalistischer Richtung bei uns noch kaum feine Wirkung anszuüben begonnen hatte. In ge­wissem Sinne kann Björnson als der Vorläufer Ibsens in Deutschland angesehen werden, :veuigstens ebnete er seinem Landsmanne die Bahn, als dieser zwei Jahre nach dein großen Erfolge desFallissement" mit seinen Stützen der Gesellschaft" auf der deutschen Bühne erschien. Daher auch die Thatsache, daß man in Deutschland den größten aller modernen Idealisten selbst dann noch als eine:: bloßen Wirklichkeitsschilderer aussaßte, als er mit den ausgesprochenen ProblemstückenNora" undEin Volks-' feind" hervorgetreten war. Björnson hat in Deutschland mit feinen Bühnenwerken den Erfolg desFallissement" nicht annähernd mehr erreicht; größerer Beliebtheit erfreut sich eigentlich nur noch das niedliche kleine SchauspielDie Neuvermählten", wahrend der düstere EinakterZwischen den Schlachten" in Deutschland fast nur durch die Küustler- fahrten der Meininger bekannt geworden ist. Mit dem eigentümlichen, das moderne Glaubenswunder nach Art eines Jbsenscheu Thesenstückes behandelnden Schauspiele lieber die Kraft" ist bis jetzt in Deutschland unfers Wissens nur ein Versuch in Frankfurt an: Alain gemacht worden, der indes keine Grundlage für das Urteil über die scenische Lebensfähigkeit des Stückes abgegeben hat. Nichts könnte übrigens unrichtiger sein, als die dichterische Größe Björn- sons nach den: Werte oder Unwerte seiner Bühnenwerke zu bemessen, dein: er ist als Erzähler darin seinem Freunde und Dichtergenossen Ibsen ungleich mindestens ebenso bedeutend wie als Dramatiker. Seine norwegischen Bauernnovellen, von denen eine ganze Reihe, allen voran die klassische ErzählungSynnöve Solbacken", durch Ueber- setzuugen auch in Deutschland bekannt geworden sind, geben ein Erzahlertalent von fast elementarer Eigenart zu er­kennen: das nordische Heimatland ihres Verfassers tritt uns in ihnen in seiner ganzen Abgeschiedenheit und stillen Größe entgegen, während die Gestalten, die die fremdartige Scenerie beleben, uns den unverfälschten Typus des Menschen­tums enthüllen.

Auch darin unterscheidet sich Björnson von seinem grüblerischen und tiefsinnigen Landsmanne Ibsen, daß er der Wirklichkeit des Lebens ungleich näher steht als dieser. Er hat stets thätigen Anteil an den politischen Bestrebungen feiner Zeit und feines Landes genommen, und als einer der Führer der radikalen sogenannten Bauernpartei wesent­lich dazu beigetragen, daß Norwegen die ihn: jetzt eigne parlamentarische Regierung erhalten hat.

Björnson ist um etwa sechs Jahre jünger als Ibsen; in: Jahre 1832 zu Kvikne in Oesterdalen als Sohn eines Predigers geboren, sollte er sich ursprünglich auch dem geistlichen Stande widme::, fand aber als junger Student in Christiania bereits den Weg in die Litteratur und die

Oeffeutlichkeit des Lebens. Gleich Ibsen führte er alsbald nach seinen Studienjahren eine Zeitlang die Direktion des von seine»: Landsmanne, de»: ebenso excentrischen wie genialen Geigenvirtuosen Ole Bull gegründeten Theaters in Bergen und später die des Theaters zu Christiania. Inzwischen war er politisch nnd litterarisch thätig, machte Reisen in das Ausland und erhielt für den Erfolg, den er als Erzähler und Bühnendichter gefunden, von: nor­wegischen Storthing eine Dichterpension zuerkannt. Nachdem er die Theaterdirektion niedergelegt, redigierte er mehrere Jahre lang die ZeitschriftNorsk Folkebladd" und begab sich dam: wieder in das Ausland, um sich nach seiner Heini­kehr auf feinen: Gute Aulestad in der Nähe von Lille- Hammer niederzulassen. Vom Jahre 1883 an lebte er mehrere Jahre in Paris und schien dort für immer seinen Wohnsitz nehmen zu wollen, doch kehrte er schließlich wieder zu seinem behaglichen nordischen Hein: in Aulestad zurück, in dessen unmittelbarer Umgebung ihn unsre, nach einer Origi- nalaufnahiiie wiedergegebene Abbildung darstellt. O. L.

Zu unfern Wildern.

De»: König Wilhelm II. von Württemberg, der am 25. Februar dieses Jahres auf fünfzig Lebensjahre zurück­blickte, ist der männliche Erbe bisher versagt geblieben, aber der Sonnenschein, der mit Kindersegen das Haus des Fürsten wie des schlichten Bürgers erfüllt, ward ihn: doch zn teil mit seiner Tochter erster Ehe, der Prinzessin Pantine von Württemberg. Die Prinzessin, am 19. Dezember 1877 geboren, verlor in zartein Alter ihre Mutter, die Prinzessin Marie zu Waldeck und Pyrmont, aber in der Prinzessin Charlotte zn Schaumburg-Lippe, die König Wilhelm damals noch Prinz Wilhelm im April 1886 als Gemahlin heimführte, fand sie eine zweite Mutter, und wie das Verhältnis zwischen Vater und Tochter das denkbar innigste ist, so verbinden auch die Prinzessin Pauline und die Königin Charlotte herzliche Bande der Liebe und Freundschaft. Regen Geistes und von umfassender Bildung, bringt die Prinzessin den schönen Künsten lebhafte Teil­nahme entgegen, und in einer derselben, der Malerei, be­kundet sie selber eine schöne Begabung. Und wie heutigen­tags viele Maler zum Festhalten wirkungsvoller Motive die bescheidene Schwester ihrer frei schaffenden Kunst zu Hilfe rufen, so ist Prinzessin Pauline eine gewandte Amateurphotographin, deren Aufnahmen mit den besten Erzeugnissen dieser Art wetteifern können. Von den her­vorragenden Leistungen der erlauchten jungen Künstlerin nach beiden Richtungen geben wir heute einige Proben.

Die wilde Erregung, welche die erneute Erörterung des Falles Dreyfus in Frankreich hervorgerufen, hat ihre Wogen auch nach Algerien hinübergeschlagen, und in verschiedenen Städten dieses Gouvernements, namentlich in der Hauptstadt, ist es zu argen Ausschreitungen ge­kommen. So bieten die Bilder aus Algier, die wir heute vorführen, eine Art aktuellen Interesses dar. Die Hauptverkehrsadern der Stadt laufen vom Gouvernements­platz aus, auf dein sich vor der Moschee Dschama el Dschedid die Reiterstatue des Herzogs Ferdinand von Or­leans erhebt, des ehemaligen französischen Kronprinzen, der 1842 in Paris durch einen Sturz aus dem Wagen ums Leben kau:. An der Südseite der Stadt erstreckt sich, an das arabische Torf Mustapha sich anschließend, die gleichnamige Villenkolonie, in der der Generalgouverneur seine Sommerresidenz hat. Eine Straße aus de»: mo­dernen Viertel, zwei solche aus dem alten maurischen Teile und eine Ansicht aus den letzten Ausläufern der Vorstadt geben die andern Abbildungen wieder.