Neues vom VüchertLsch.
Von
Maul von Szczepanski.
HZaul Heyse fühlt sich von Zeit zu Zeit veranlaßt, zu brennenden Tagesfragen Stellung zu nehmen, und er findet dann nicht immer ein ausschlaggebendes oder auch nur ein klärendes Wort. Auch sein jüngst veröffentlichter Beitrag zur Frauenbewegung: „Marthas Briefe an Maria" (Stuttgart, Verlag der I. G. Cottaschen Buchhandlung Nachfolger), dessen Ertrag für ein in München zu gründendes Mädchengymnasium bestimmt ist, beschäftigt sich zwar mit dieser brennenden Frage der Gegenwart, aber der Leser sucht vergeblich nach neuen Gesichtspunkten und nach einem überzeugenden Beweise für des Verfassers Anschauungen. Was der Leser findet, ist lediglich eine Heysesche Novelle in Briefform, trotzdem Heyse in einem Vorworte versichert, daß er nicht der Verfasser, sondern nur der Herausgeber dieser ihm aus England zugesandten Briefe sei, und zu den besten Novellen Heyses gehört diese neueste nicht. Für die Notwendigkeit der Mädchengymnasien beweist die Novelle so wenig, daß sie sehr gut den Titel führen könnte: „Wie man sowohl mit wie auch ohne Gymnasialbildung eine glückliche Frau werden kann." Und die Beweise für das „ohne" sind sogar die stärkeren. Denn Maria, die Adressatin der Briefe und die Frau mit der höheren Bildung, die auf der Glasgower Lellool ok Noäicino kor Women ihren Doktor gemacht hat und in England als Aerztin praktiziert, hat das Glück der Ehe nur kurze Zeit genossen, sie hat, wie wir aus Marthas Briefen erfahren, ihren Gatten nach kurzer Ehe durch den Tod verloren. Ein trauriges Schicksal, das allerdings in gar keiner Beziehung zur Frauenfrage steht. Wenn der Leser aber diesem Schicksal dasjenige Marthas gegenübergestellt sieht, die ihren heißen Wissensdrang niemals hat befriedigen dürfen, ihre Briefe aber doch damit schließen kann, daß sie nun am Beginn eines endlosen Glückes angelangt sei — an die Möglichkeit natürlicher Katastrophen denkt man nicht, wenn man sich vollbefriedigt fühlt —, dann fällt selbst dieser von der Frauenfrage ganz unabhängige Schicksalsunterschied zu Gunsten Marthas und, da es sich um eine Tendenznovelle handelt, zu Ungunsten der Mädchengymnasien in die Wagschale, trotzdem Martha in ihren Briefen ihre Freundin um ihr Schicksal beneidet und sich selbst über ihr Schicksal beklagt, bis zu dem Augenblick, in dem die Geburt eines Töchterchens allen Klagen ein
Ende macht. Sowohl Maria wie Martha sind arge Tendenzfiguren. Maria das Muster der Frau, wie sie von den fortgeschrittensten Führerinnen der Frauenbewegung immer als leuchtendes Beispiel an die Wand gemalt, im Leben aber selten gefunden wird. Von frühester Jugend an geht sie zielbewußt ihren Weg, macht ihren Doktor, gewinnt sich eine Praxis, heiratet und bringt es fertig, ihren Berufs- und ihren Frauenpflichten in gleicher Weise gerecht zu werden, und als sie nach dem Tode ihres Gatten als Witwe mit drei Kindern in der Welt zurückbleibt, hat sie zwar den Verlust des geliebten Mannes zu beklagen, aber ihr Berus giebt ihr wenigstens den Trost, daß ihre und ihrer Kinder materielle Lage nicht im Grunde erschüttert ist. Martha dagegen ist das Muster der gefesselten Psyche, wie es von allen — nicht nur von den fortgeschrittensten — Anhängern der Frauenbewegung an die Wand gemalt wird, wenn es sich für sie darum handelt, die Notwendigkeit der Frauenbewegung zu beweisen. Die Tochter eines höheren Beamten, findet sie im elterlichen Hanse, und wo sie sich auch sonst danach umsehen mag, nicht die geringste Möglichkeit, sich nützlich zu beschäftigen. Nach ein paar vertanzten Saisons erscheint ihr das Ge- sellschastsleben fade, und es erwacht ein heißer Wissensdrang in ihr, den zu befriedigen ihr die veralteten und engherzigen Anschauungen der Eltern und des Bruders nicht gestatten. Die Eltern sterben, und Martha ist darauf angewiesen, sich selbst ihr Brot zu verdienen. Martha versucht es als „Stütze der Hausfrau". Der Frau des Hauses wird sie sehr wert; trotzdem muß sie sie nach drei Monaten bitten, sich nach einer andern Stellung umzusehen. „Nicht nur der Herr Sohn hatte sich für mich zu interessieren au- gesangen, auch die Gunst des Hausherrn drohte mir lästig zu werden, und die kleine Eifersucht der Tochter war bereits in einen förmlichen Haß ausgeartet." Das Glück läßt Martha sofort eine andre Stellung als Gesellschafterin und Reisebegleiterin bei einer einzelnen Dame finden. Angenehm ist natürlich auch die neue Stellung nicht. Aber diese Dame ist wenigstens nicht undankbar. Als sie nach kurzer Zeit stirbt, stellt sich heraus, daß sie ihrer vielgequälten Gesellschafterin ein Legat von 2000 Mark ausgesetzt hat. Dieses Legat ermöglicht Martha, eine Handelsschule in Berlin zu besuchen, um sich zur Buchhalterin
