Heft 
(1897) 09
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auszubilden. Auf dem Vortragsabend eines Volksbildungs- Vereins hört sie einen Redner, der einen großen Eindruck auf sie macht; sie lernt ihn kennen, und der Eindruck ver­stärkt sich nicht nur, sondern er ist auch ein gegenseitiger, nach drei Tagen ist Martha glückliche Braut, bald die glückliche Frau des geliebten Mannes, der als tüchtiger und gesuchter Arzt in einer bayrischen Mittelstadt lebt. Man sollte glauben, Martha könne mit ihrem Lose, das sie trotz der mangelnden Gymnasialbildung gezogen, sehr zufrieden sein. Weit gefehlt! Alan höre Frau Martha selbst:Als ich meinen Mann heiratete, diesen Alaun, glaubte ich, nun sei alles gewonnen, was ich je ersehnt hatte. Er wisse alles, vor seinem klaren Auge könne keines der Welträtsel sich in seine Schleier hüllen, und da wir als Mann und Frau keine Geheimnisse voreinander hätten, würde mir in der geistigen Gütergemeinschaft, in der wir lebten, alles zufallen, wonach ich nur ein Verlangen ge­tragen. Ich mußte bald erkennen, daß dies eine Illusion gewesen, die ans inneren und äußeren Ursachen sich nicht verwirklichen konnte. Zunächst, weil er beim besten Willen mir nicht so viel von seinem Leben widmen konnte, wie ich hoffte und bedurfte. Jean Paul, wenn ich nicht irre, hat einmal gesagt, der Unterschied der Liebe bei den beiden Geschlechtern bestehe darin, daß das Weib in einem fort liebe, während der Mann dazwischen zu thun habe. Ich halte das für einen jener geistreichen Sprüche, die nur zur Hälfte oder nur zu einem Drittel wahr sind. Auch das Weib, wenn es nicht ein ganz stumpfsinniges, geistesarmes Wesen ist, hat ,dazwischen zu thunsi und wäre es nur zu kochen, zu waschen und ihre Kleider zu flicken, was bei der leidenschaftlichsten Natur schwerlich von einem ununter­brochenen Liebesgefühl begleitet sein wird. Wo aber zwei Menschen mit höheren geistigen Anlagen sich fürs Leben nngehören, wird es die Frau sich nicht nehmen lassen, sich zu einem vollen Menschen auszubilden, in welchem keine seiner Geistes- und Seelenkräfte schlummern oder neben dem thätig wirkenden Manne ein bloßes Schattendasein führen. Nun sah ich meinen Alaun dermaßen von seinem Beruf in Atem gehalten, daß für mich nur die kurzen Pausen übrig blieben, die mit unfern hastigen Mahlzeiten ausgefüllt wurden. Auch in diesen Ruhestunden gehörte er nur halb mir an, die Gedanken an seine Patienten ließen ihn oft nicht los, und am Abend, wenn alle Besuche hinter ihm lagen, war er meist so erschöpft, daß es grau­sam gewesen wäre, wenn seine Frau ihm zugeinutet hätte, nun noch für ihre Bildung zu sorgen. Unser junger, kleiner Haushalt machte mir nicht viel zu schaffen, obwohl ich überall selbst mit angrisf. Dann kamen die langen Stunden, wo ich über mir allein saß und in den Büchern meines Mannes herumstöberte, ,ob etwas käme und mich mitnähmell Es waren meist medizinische Werke, die ich nicht zu lesen begehrte. Einige historische, die ich schon kannte, dann philosophische, die ich zuerst mit Heller Freude in die Hand nahm, da ich glaubte, hier hätte ich endlich den Schlüssel gefunden, der mir die Thore zu den Ge­heimnissen der Unter- und Oberwelt öffnen würde. Aber ich merkte bald, daß nieine Hand zu schwach war, ihn zu gebrauchen. Die Sprache, in der die meisten geschrieben waren, klang wie eine Art Geheimsprache, die nur solche leicht sich aneignen können, die mit Griechisch und Latein vertraut sind. Und selbst, wo die Denker sich Mühe geben, in der allgemeinen Menschensprache zu reden, versagte mir bald das Verständnis. Wir waren ja nie dazu angehalten worden, eine strenggegliederte Kette von Schlüssen zu ver­folgen, unter dem Vorwände, unser Gehirn sei zu schwach dafür. Als ob selbst das stärkste Gehirn nicht auch einer geistigen Gymnastik bedürfte, um schwereren Aufgaben ge­wachsen zu sein. Und was den Mangel an natürlicher Logik betrifft, den man uns vorzuwerfen pflegt, wie

Ueber Land, und Meer. All. Okt-Hefte. XIV. 9.

! oft hatte ich im Disput mit Männern erfahren, daß auch ^ viele von ihnen mit dieser Gabe der Götter nicht eben ^ reichlich gesegnet sind, da sie sich der Mühe überhoben glauben, uns mit Gründen zu überzeugen, wenn wir unsre Menschenrechte verteidigen, und nicht im stände sind, unsre Gründe zu widerlegen. Ich hatte Tage, wo ich in meiner drückenden Unthätigkeit wahrhaft verzweifelt umherging." Und woher all das Unglück? Weil die mangelnde Müdchen- gymnasialbildung Frau Martha nicht den Schlüssel in die Hand gegeben hat, die Philosophen zu verstehen. Ich glaube, Frau Martha befindet sich in vielen Jrrtümern. Es ist zum Beispiel ein Irrtum, wenn sie glaubt, die Gymnasialbildung liefere diesen Schlüssel unter allen Um­ständen aus. Ich kann Frau Martha versichern, daß die meisten Leute mit dieser Bildung sehr vielen Philosophen nicht zu folgen vermögen. Es ist auch ein Irrtum von Frau Martha, wenn sie glaubt, um sich zu einemvollen" Menschen herauszubilden, sei auch nur die Kenntnis irgend eines philosophischen Systems notwendig, ich habe Voll­menschen gekannt, die in ihrem ganzen Leben nicht einmal den Namen eines Philosophen gehört hatten. Und es ist auch ein Irrtum, wenn Frau Martha glaubt, es gehöre zu den Menschenrechten, sich mit Philosophie wissenschaftlich zu beschäftigen. Sie verwechselt da durchaus ihr persön­liches Bedürfnis mit den Menschenrechten, und wenn sie meint, sie hätte das Recht auf die für ihr persönliches Bedürfnis unerläßliche Vorbildung gehabt, so fordert sie damit nichts andres, als wenn jemand, der große Lust in sich spürt, fremde Länder zu sehen, vom Staate ein Reise­stipendium, oder als wenn eine ihrer Schwestern, die Freude an echten Steinen hat, ein offenes Conto beim Juwelier verlangen wollte. Man kann Mädchengymnasien für sehr nützlich, für geradezu notwendig halten nur nicht ans den Gründen, aus denen Paul Heyse und Frau Martha sie fordern. Denn Frau Martha gehört zu den Naturen, die sich nur mit dem Leben abfinden zu können meinen, wenn sie etwas hätten, das sie eben nicht haben. Hätte sie ihre Gymnasialbildung, so würde sie etwas andres heraussinden, was ihr fehlt, und dessen Mangel sie un­zufrieden macht. Sie ist ein unpraktischer Mensch, der sich mit der Wirklichkeit nicht abzufinden weiß; sie wünscht ins j Blaue hinein, ohne Zweck, ohne Ziel, ohne Grundlage.

! So hat sie einmal aufs lebhafteste gewünscht, Medizin studieren zu dürfen. Weshalb?Eine ältere Schwester unsrer Mutter, Tante Lisbeth, hatte jahrelang mit uns gelebt in einem kläglichen Zustande. Sie hatte sich als junges Mädchen, da sie von einer schweren Unterleibs­krankheit befallen wurde, nicht entschließen können, sich der Untersuchung durch einen Arzt zu unterziehen, und Aerztinnen ^ gab es damals noch nicht in Berlin. So war das Uebel mit der Zeit unheilbar geworden, hatte ihre Jugend zer­stört, ihre späteren Jahre verdüstert, so daß sie in einer Schwermut dahinlebte, die an Irrsinn grenzte." Tante Lisbeths Fall ist gewiß ein sehr trauriger Fall, aber es ist keineswegs sicher, daß dieser Fall weniger traurig ge­worden wäre, wenn es damals schon Aerztinnen in Berlin gegeben hätte. Denn das Wahrscheinliche ist, daß Tante Lieschen der Aerztin gegenüber gerade so prüde gewesen wäre, wie sie es dem Arzte gegenüber gewesen ist. Diese Prüderie ist durchaus keine weibliche Eigentümlichkeit, wie Frau Martha zu glauben scheint, sie findet sich ebenso häufig bei jungen Männern, wie mir Aerzte gewiß beglaubigen würden. Und wollte man diese Prüderie der Jugend allein dafür geltend machen, daß Aerztinnen nützlich und wünschens­wert seien, so würde man starkem Widerspruch begegnen. Aber es sprechen gewichtigere Gründe dafür. Paul Heyse muß sehr weltfremd geworden sein, wenn er sich von Marthas Briefen an Maria" eine Förderung der Be­strebungen verspricht, die für die Berechtigung des

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