414
Zleber Land
Frauenstudiums eiutreteu. Diese Bestrebungen sind aus rein praktischen Erwägungen hervorgegangen, und sie werden sicher nur einen Erfolg haben, wenn sie rein praktische Ziele im Auge behalten. Frauen, die sich nur deshalb unbefriedigt fühlen, weil sie meinen, ihnen fehle der Bildungsschlüssel für die höchsten Erkenntnisse, wird niemals zu helfen sein. Jedenfalls wäre es zu viel verlangt, wenn diese Ausnahmswesen zu ihren Gunsten für eine Revolution des ganzen weiblichen Erziehungswesens ein allgemeines Eintreten beanspruchten.
Die problematischeste feiner Naturen hat Friedrich Spielhagen in seinem neuen Roman „Faustulns" (Leipzig, Verlag von L. Staatsmann) geschaffen, einen Charakter, aus dem der Leser in der That nicht klug werden kann, da er ihn doch unmöglich, ohne des Autors Einwilligung, einen ekelhaften Kerl nennen darf. In der ganzen Romanlitteratur dürste es kaum einen gleich unsympathischen Helden geben wie den Dr. Arno, den Spielhagen einen Faustulus nennt. Selbst von äußeren Reizen hat ihm sein Schöpfer nur eine schöne Stirne zugebilligt. Trotzdem hängen die Frauen sich an ihn wie die Kletten, und zwar die Frauen jeder Art. Die stark wurmstichige Apothekerin läßt sich von ihm mißhandeln, das reine Naturkind Stine wirft sich ihm an den Hals, kaum daß er nötig hat, die Arme zu öffnen, die starkgeistige Bananierstochter Alexe ist der festen Ueberzeugung, daß sie diesem Faustulus die notwendige Ergänzung sein wird, und selbst Alexes vornehm denkende und nur unerträglich schöngeistig redende Mutter hat ihren Narren an dem merkwürdigen Menschen gefressen, den zwar bereits im Jahre 1854 sein Schicksal erreicht, der aber offenbar schon Nietzsches Uebermenschen- theorie vorempfunden und mißverstanden hat. Trotzdem die Geschichte schon lange her ist, hat Spielhagen es für absolut notwendig gehalten, den Schauplatz der Handlung auch den schärfsten Augen künstlich zu verschleiern; die Handlung spielt aus zwei der pommerschen Küste vorgelagerten Inseln, Uselin und Woldom, deren Namen jedem Leser furchtbar fremdartig klingen. Auch die Menschei: erscheinen ihm fremd; jedenfalls Haben sie, auch die von der Kultur noch nicht beleckten Fischer, nichts spezifisch Pommersches an sich, und was da in den Salons der Useliner Honoratioren im Jahre 1854 gethan, geredet, gegessen und getrunken wird, das könnte Spielhagen sich alles in ganz gleicher Weise in einen: Salon des Berliner Westens in: Jahre 1898 vollziehen lassen. Womit ich nicht gesagt haben will, daß es dann ausnehmend charakteristisch untre, aber es würde doch charakteristischer erscheinen als in dem weltentlegenen Uselin um 1854. Was mich am meisten betrübt hat, ist die ans dem Roman hervorgehende Thatsache, daß der Morphiumgenuß schon vor vierundvierzig Jahren in Uselin eine so weite Verbreitung gesunden hatte, wie er sie heute kaum in Berlin gesunden haben dürfte. Aber selbst dieser Morphiumgenuß kann meiner Meinung nach den Dr. Arno nicht entschuldigen ; er kann nicht einmal sein und der Apothekersgattin, die auch diesen: Genüsse huldigt, Verhalten erklären. Denn wenn die letztere sich einbildet, ihr Gatte werde, nachdem sie schon Jahre hindurch verheiratet sind, sich gewisse ihm zustehende Rechte mit einen: Rittergut erkaufen, so arbeitet ihre Phantasie doch üppiger als selbst starke Dosen Morphium möglich mache!: können. Und gar Vv. Arno! Er kompromittiert die Apothekersgattin, er verführt die reine Stine und er verlobt sich mit der starkgeistigen Alexe, — so alles in einem, ohne auch nur einen Gedankenstrich zwischen diese drei Lebensabschnitte zu machen. Das ist zu viel, selbst für eine durch Morphium momentan gesteigerte Lebensfreudigkeit. Ich wüßte in der That nicht, wie dieser Wirrwarr enden könnte, trotzdem Stine die Sache dadurch vereinfacht, daß sie ins Wasser geht, wenn nicht die rächende
und Weer.
Nemesis in Gestalt eines Fischers dem I)v. Arno ihr Messer ins Herz stieße. Das ist doch mal exakt arbeitende poetische Gerechtigkeit, wenn auch Spielhagen das Ende nicht so auffaßt; dein: er läßt den I)r. Arno nicht eigentlich gerichtet, sondern ihn mit seiner geliebten Stine vereinigt werden. Es ist aber sehr erschütternd, und um es noch erschütternder zu machen, hat Spielhagen einen kleinen Kunstgriff angewandt, er hat erst noch, trotzdem er doch bereits wußte, wie es kommen würde, die ganzen Polterabendherrlichkeiten geschildert, die den: Brautpaar 1)r. Arno und Alexe zu Ehren veranstaltet werden. Nichts wird dem Leser da vorenthalten: Bengalische Beleuchtung, Prolog, Kranzüberreichung, Quartett, Quadrille, Festspiel, auch nicht die Freuden des Soupers: „Es fehlte nichts an dein köstlichen Mahl; selbst die Reden, die gehalten wurden, waren ausnahmsweise gut." Spielhagen, läßt sich sogar bei der liebevollen Ausarbeitung der Freuden dieses Polterabends von seinem Wunsche, alles recht hübsch, appetitlich und gemütlich darzustellen, zu einer etwas unwahrscheinlichen Behauptung verführen. Er erzählt unter andern:: „Nun traten vier zwölf- bis vierzehnjährige, als Pagen in blauen Sammet gekleidete Mädchen auf, die mit ihren allerliebsten, im Geschmack Qouis gnakorriL kostümierten kleinen Partnerinnen nach einer anmutigen Melodie eine Gavotte so graziös tanzten und so entzückend aussahen, daß eine Wiederholung stürmisch verlangt wurde. Aber, wenn nicht die holden Geschöpfe selbst, so war doch der Arrangeur klug genug, sich mit einen: Erfolge zu begnügen, der nicht gesteigert, höchstens abgemindert werden konnte." Junge Mädchen im Pagenkostüm auf einer Useliner Hochzeit, — das kann ich mir unmöglich denken; oder das Uselin von 1854 müßte in: Vergleich zu dem Uselin von heute sehr freie Anschauungen gehabt haben. Aber daß es nach allem diesen: vergnügten Brimborium, in das sich der Leser vertiefen durfte, dann um so mächtiger wirkt, wenn der glücklich-unglückselige Bräutigam aus dem Trubel vergnügter Menschen aus das einsame Hafenbollwerk hinausflüchtet, dort dem messerbewaffneten Rächer Stines begegnet, sich Rock und Weste ausreißt und ihm zuruft: „Stoß zu! Hier sitzt das Herz, hier! Das Herz, das Stine gehört im Leben und im Tode, wie ihr Herz mir gehört hat im Leben und im Tode!" — das ist doch klar. Und das nennt mau die „Technik des Romans", über die, irre ich nicht, Spielhagen einmal sehr eingehende Erörterungen angestellt hat.
Erinnerungen an seine verflossene Burgtheaterdirektorenzeit mögen es fein, die Adolf Wilbrandt den Stoff zu seinem Roman „Schleichendes Gift" (Stuttgart, Verlag der I. G. Cottaschen Buchhandlung Nachf.) gegeben haben. Wen:: nicht den Stoff, so doch die Lokalsarbe, die Typen, den Verkehrston. Die sind sehr gut beobachtet und wiedergegeben, und auch die Verleumdnngsgeschichte, die Wilbrandt innerhalb der Wiener Gesellschaft sich abspielen läßt, ist ohne alle romantischen Zuthaten, ein interessantes Dokument menschlicher Schwäche und Niedertracht, in ihre»: Beginn fein motiviert, in ihrer Entwicklung fesselnd und in ihrer Lösung vornehm. Das Motiv der Verleumdung ist Rache. Ein talentvoller Taugenichts sucht die Protektion eines höheren Beamten, der ihm schon mehrfach die rettende Hand gereicht hat, nach, um eine gut besoldete Stelle in einem großen Wiener Finanzinstitut zu erhalten. Der Beamte, eine offene und ehrliche Natur, weist dieses Ansinnen zurück, und zwar ist er unvorsichtig genug, als Grund für seine Weigerung seinen Mangel an Vertrauen zu den: Klienten zu bekennen. Vorsichtigere Leute Helsen sich in ähnlicher Lage mit allgemeinen Redensarten, oder indem sie Mangel an Einfluß vorschützen, oder indem sie Versprechungen machen, die sie fest entschlossen sind, nicht zu halten. Hofrat Steinhaufen ist zu ehrlich für solche Ausflüchte; er sagt