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Neues vom
dem Bittsteller einfach: „Ich kann dich nicht empfehlen, weil ich keine Garantie für dich übernehmeil kann, weil ich kein Zutrauen zu dir habe. Was ich bisher für dich
gethan habe, das geschah aus Freundschaft für deinen Bruder, und es geschah auf meine Rechnung. Ich kann es keinem andern, am wenigsten dem mit mir befreundeten Minister zumuten, die gleichen Erfahrungen mit dir zu machen, die ich selbst gemacht habe." Der Zurückgewiesene nimmt das äußerlich ruhig hin, aber in ihm steht es fest, daß er dem Manne eine Lektion erteilen wird, — die nämlich, daß man schlechten Charakteren nicht einmal ungestraft Wohlthaten erzeigen darf. Im Haufe des unverheirateten Hofrats lebt ein junges Mädchen, die Tochter eines verstorbeneil Freundes, an dem er unter dem Titel eines Onkels Vaterstelle vertritt. Zwischen dem altereil Manne und dem jungen Mädchen keimt, noch unausgesprochen, eine Neigung. Andrerseits hat zwischen dem Hofrat und der Gattin des ihm befreundeten Ministers Haller einmal, gleichfalls unausgesprochen, eine Neigung bestanden, die vielleicht nicht ganz ungefährlich gewesen wäre, wenn der Hofrat als ein Ehrenmann die aufzüngelnde Flamme nicht rechtzeitig erstickt hätte. Da sieht der von dem Hofrat zurückgewiefene Bittsteller die beiden exponierten Angriffspunkte. Ein paar Verse eines dichtenden Freundes von allgemeiner Sentenz, die er geschickt für seinen speziellen Zweck umformt, ein Gedicht des Hofrats, das das junge Mädchen sich abgeschrieben hat und das er von ihrem Schreibtisch entwendet und für ihre eigne Gefühlsäußerung ausgiebt, sind seine Waffen. Geschickt weiß er die beiden Zettel in der Gesellschaft die Runde machen zu lassen, und die Gesellschaft deutet aus ihnen scharfsinnig eine Beziehung des Hofrats zu der Gattin des Ministers und eine Neigung des Ministers für das junge Mädchen. Von der letzteren und ihrer Erwiderung glaubt sogar der Hofrat selbst schließlich überzeugt sein zu müssen. Die Rechtlichkeit der beiden Freunde, des Hofrats und des Ministers, die auch lebens- klug genug sind, um zu wissen, daß unter Männern durch offene Aussprache am ehesten eine undurchsichtige Situation geklärt wird, bricht der Jntrigne die Spitze ab. Auch an einer vollständigen Entlarvung des Urhebers der Verleumdungen fehlt es nicht — übrigens die einzige Seene, die mehr bühnenmäßig als lebenswahr anmntet. Unter Wil- braudts zahlreichen Romanen zeichnet sich dieser durch eine große Frische der Darstellung und durch eine ganze Anzahl sehr liebenswürdiger Charaktere ans.
Paul Lind a u s neue Erzählung „DerKönig von Sidon" (Breslau, Verlag von S. Schottlaender) wird als Dichtung nicht viele Freunde finden, aber als lebensvolle Schilderung alter Gräberfunde bei Beirut erregt sie ein lebhaftes Interesse. Paul Lindau hat Wahrheit und Dichtung miteinander zu verschmelzen gesucht, und das ist ihm nicht mißlungen. Aber so lebendig und anziehend seine Reiseschilderungen wirken, so müde zeigt sich seine Phantasie, die den Rahmen dafür geliefert hat. Die Geschichte, die er erfunden hat, ist von beinahe rührender Anspruchslosigkeit. Professor Möller in Berlin, der sehr zurückgezogen lebt, nimmt ein zahmes Interesse an einem jungen Mädchen, das mit ihm aus derselben Etage wohnt und das er kennen lernte, als sie einmal einen Band von Piepers Konversationslexikon entlehnte, um darin etwas nachzuschlagen. Sie ist nämlich Stenographin und stenographiert für einen Kollegen des Professors. Auch Möller- engagiert sie in gleicher Eigenschaft, sie wird ihm nützlich und angenehm zu gleicher Zeit. Aber ehe er noch einen Entschluß fassen kann, ob es rätlich sei, um ihre Hand anzuhalten, geht ihm eine Einladung des Direktors der kaiserlichen Museen in Stambnl zu, bei der Aufdeckung der alten Königsgräber von Sidon mitzuwirken. Professor- Möller reist sofort ab; vom Schiff ans entschließt er sich,
Nücherlisch.
eine schriftliche Werbung an das in Berlin zurückbleibende junge Mädchen zu richten. In Sidon packt ihn ganz der Furor des Forschers, und was er hier erlebt, ist mit den lebendigen Farben geschildert, die Paul Lindau für die Wiedergabe seiner eignen Reise-Eindrücke zur Verfügung stehen — die Eindrücke eines leicht beweglichen, schnell in sich ausnehmenden Geistes. Aber das Ende der Geschichte wirkt dann im Gegensätze zu dem ein bißchen philiströsen Eingänge künstlich hochgeschraubt. Als der türkische Entdecker der Königsgräber von Sidon seine Arbeit gethan glaubt und nach Konstantinopel zurückkehrt, bleibt Professor- Möller noch zurück, trotzdem er von allen Seiten vor der Fieberluft gewarnt wird. Er ist von dem Ehrgeiz besessen, selbst ein noch verborgenes Grab zu entdecken. Das glückt ihm auch, aber in der schlechten Luft der Katakomben packt ihn das Fieber. Im Fieberwahn hält er sich selbst für den toten König von Sidon, dessen Mumie er ans Tageslicht gefördert hat und der in seiner Sarginschrift den Störer seiner Ruhe mit allen möglichen Strafen bedroht hat, darunter auch mit dem Fluch: „Verlassen soll dich das Weib, das du liebst." Dieser Fluch geht buchstäblich in Erfüllung, indem Professor Möller die Antwort aus seinen Brief erhält — einen Korb jenes jungen Mädchens mit der Anzeige, daß sie sich eben mit Professor Möllers Kollegen verlobt habe. Darauf bettet sich Professor Möller in seine Bettdecken, ganz wie ein alter Aegypter in seinen Mumieuschrein, und stirbt. Der Leser aber, den Paul Lindau die Neigung des jungen Mädchens zu dem Kollegen Professor Möllers schon längst hatte erraten lassen, sagt sich, daß Professor Möllers Tod doch mit dem Fluch des alten Königs von Sidon eigentlich gar nichts zu thun hat, und daß der Professor auch dann einen Korb bekommen haben würde, wenn er den alten Herrn nicht in seiner Ruhe gestört haben würde. Ich halte es nicht für unmöglich, daß Lindau nicht nur durch seine eigne Reise nach dem Orient, sondern auch durch Nidder Haggards „Kleopatra" und speziell durch das grandiose Kapitel, das den Raub des Schatzes des Königs Menkaura schildert, zu seinem „König von Sidon" angeregt worden ist.
Eine reife Entwicklung ihres großen Talents zeigt Frida Freiin von Bülow in ihrem Roman „Kara" (Stuttgart, Verlag der I. G. Cottaschen Buchhandlung Nachfolger). Da ist nicht nur ein großer Vorwurf, sondern eine auch in allem Detail meisterhafte Ausführung, und neben einer Fülle von feinen Beobachtungen findet der Leser eine ganz erstaunliche Welt- und Menschenkenntnis. Das alles in dem Rahmen einer Handlung, die niemals den Eindruck des künstlich Komponierten macht, sondern aus sich selbst und aus den Charakteren heraus ganz natürlich emporwächst. Comtesse Kara Randors ist eines jener jungen Mädchen, die sich nicht mit einer Konvenienz- ehe abfinden können. Sie sieht an ihrer Schwester ein Beispiel, wohin solche Ehen führen, trotzdem diese Ehe gar nicht mal eine ausgesprochen unglückliche ist. Aber das Beste dieser Schwester, ihr Eigenstes, ihre Individualität, hat diese Ehe mit einem übermäßig korrekte:: Manne von kleinlicher Natur und starker Selbstliebe doch erstickt, und sie hat für dieses Aufgeben ihrer selbst nichts eiugetauscht, als die Resignation, daß eine einmal übernommene Verpflichtung auch tadellos zu Ende geführt werde:: muß. Kara Randors fühlt sich einer solchen Ausgabe nicht gewachsen. Sie kann sich wohl denken, daß ein Mädchen einem geliebten Manne alles zu opfern in: stände sei, oberste will nicht an der Seite eines ungeliebten verkümmern. Das wird ihr ganz klar, als ihr der einzige begegnet, der einen übermächtigen, unwiderstehlichen Eindruck auf sie macht. Baron Bruckring ist eine geniale Natur aber auch ein rücksichtsloser Egoist, ein Gewaltmensch, dessen Zauber noch niemand widerstanden, der aber auch noch niemand
