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Weber Land und Weer,
der bloße Name schon erheitert, der Name, der neuerdings etwas jeden Mitbewerb beinah' Ausschließendes hat. Als ich noch Lieutenant war, freilich lange her, da mußten alle Witze von Glasbrenner oder von Beckmann sein. Beckmann war erster Komiker, und wenn man in Gesellschaft sagte: ,da hat ja wieder der Beckmann.. .' so war man mit seiner Geschichte so gut wie 'raus. Und wie damals mit den Witzen, so heute mit den Hotels. Alle müssen ,Bristol' heißen. Ich zerbreche mir den Kopf darüber, wie gerade Bristol dazu kommt. Bristol ist doch nur ein Ort zweiten Ranges, aber Hotel Bristol ist immer prima. Ob es hier Wohl Menschen giebt, die Bristol je gesehn haben? Viele gewiß nicht, denn Schiffkapitäne, die zwischen Bristol und New Uork fahren, sind in unserm guten Berlin doch immer noch Raritäten. Uebrigens darf ich bei allem Respekt vor meinem berühmten Hotel sagen, unberühmte sind meist interessanter. So zum Beispiel bayrische Wirtshäuser im Gebirge, wo man eine dicke Wirtin hat, von der es heißt, sie sei mal schön gewesen, und ein Kaiser oder König habe ihr den Hof gemacht. Und dazu daun Forellen und ein Landjäger, der eben einen Wilderer oder Haberfeldtreiber über den stillen See bringt. An solchen Stellen ist es am schönsten. Und ist der See aufgeregt, so ist es noch schöner. Das alles würde mir unser Baron Berchtesgaden, der da drüben sitzt, gewiß gern bestätigen und Sie, Herr Hosprediger, bestätigen es mir schließlich auch. Denn mir fällt eben ein, Sie waren ja mit unserm guten alten Wilhelm, dem letzten Menschen, der noch ein wirklicher Mensch war, immer in Gastein Zusammen und viel an seiner Seite. Jetzt hat man statt des wirklichen Menschen den sogenannten Uebermenschen etabliert; eigentlich giebt es aber bloß noch Untermenschen, und mitunter sind es gerade die, die man durchaus zu Uebermenschen machen will. Ich habe von solchen Leuten gelesen und auch mal einen ge- sehn. Ein Glück, daß es, nach meiner Wahrnehmung, immer entschieden komische Figuren sind, sonst könnte man verzweifeln. Und daneben unser alter Wilhelm! Wie war er denn so eigentlich, wenn er so still seine Sommertage verbrachte? Können Sie mir was von ihm erzählen? So was, woran man ihn so recht erkennt."
„Ich darf sagen ,ja', Herr von Stechlin. Habe so was mit ihm erlebt. Eine ganz kleine Geschichte, aber das sind gerade die besten. Da hatten wir mal einen schweren Regentag in Gastein, so daß der alte Herr nicht ins Freie kam, und statt draußen in den Bergen, in seinem großen Wohnzimmer seinen gewohnten Spaziergang machen mußte, so gut es eben ging. Unter ihm aber, was er wußte, lag ein Schwerkranker. Und nun denken Sie sich, als ich bei dem guten alten Kaiser eintrete, seh' ich ihn, wie er da lange Läufer und Teppiche zusammenschleppt und übereinander packt, und als er mein Erstaunen sieht, sagt er mit einem unbeschreiblichen und mir unvergeßlichen Lächeln: ,Ja, lieber Frommel, da unter mir liegt ein Kranker; ich mag nicht, daß er die Empfindung hat, ich trample ihm da so über
den Kopf hin . . .' Sehn Sie, Herr von Stechlin, da haben Sie den alten Kaiser."
Dubslav schwieg und nickte. „Wie beneid' ich Sie, so was erlebt zu haben," hob er nach einer Weile an. „Ich kannt' ihn auch ganz gut, das heißt in Tagen, wo er noch Prinz Wilhelm war, und dann oberflächlich auch später noch. Aber seine eigentliche Zeit ist doch seine Kaiserzeit."
„Gewiß, Herr von Stechlin. Es wächst der Mensch mit seinen größern Zwecken."
„Richtig, richtig," sagte Dubslav, „so was schwebte mir auch vor; ich könnt'es bloß nicht gleich finden. Ja, so war er, und so einen kriegen wir nicht wieder. Uebrigens sag' ich das in aller Reverenz. Denn ich bin kein Frondeur. Fronde ist mir gräßlich und paßt nicht für uns. Das heißt, mitunter paßt cs auch."
Inzwischen war die siebente Stunde herangekommen und um halb acht ging der Zug, mit dem das junge Paar noch bis Dresden wollte, dieser herkömmlich ersten Etappe für jede Hochzeitsreise nach dem Süden. Alan erhob sich von der Tafel, und während die Gäste, bunte Reihe machend, untereinander zu plaudern begannen, zogen sich Woldemar und Armgard unbemerkt zurück. Ihr Reisegepäck war seit einer Stunde schon voraus, und nun hielt auch der viersitzige Wagen vor den: Barbyschen Hanse. Die Baronin und Melusine hatten sich zur Begleitung des jungen Paares bis ans den Bahnhof hinaus miteinander verabredet und nahmen jetzt, ohne daß Woldemar und Armgard es hindern konnten, die beiden Rücksitze des Wagens ein. Das ergab aber, besonders Zwischen den zwei'Schwestern, eine vollkommene Rang- und-Höslichkeitsstreiterei. „Ja, wenn es jetzt in die Kirche ginge," sagte Armgard, „so hättest du recht. Aber unser Wagen ist ja schon wieder ein einfacher Landauer geworden, und Woldemar und ich sind, vier Stunden nach der Trauung, schon wieder ganz gewöhnliche Menschen. Und sich dessen bewußt zu werden, damit kann man nicht früh genug anfangen."
„Armgard, du wirst mir zu gescheit," sagte Melusine.
Alan einigte sich zuletzt, und als der Wagen am Anhalter Bahnhof eintras, waren Rex und Ezako schon da, beide mit Riesenstrüußen, Zogen sich aber unmittelbar nach Ueberreichnng ihrer Bouquets wieder zurück. Nur die Baronin und Melusine blieben noch auf dem Bahnsteig und warteten unter lebhafter Plauderei bis zum Abgänge des Zuges. In dem von dem jungen Paare gewählten Eoupo befanden sich noch zwei Reisende; der eine, blond und artig und mit goldener Brille, konnte nur ein Sachse sein, der andre dagegen, mit Pelz und Juchtenkoffer, war augenscheinlich ein „Internationaler" aus dem Osten oder selbst aus dem Südosten Europas.
Null aber hörte man das Signal, und der Zug setzte sich in Bewegung.