Stechlin.
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anskultieren zu sehn, ist ein wahres Vergnügen für 'nen Fachmann."
So klang, was Spanholz noch in letzter Minute vom Coupäfenster aus zum besten gab. Alles, am meisten aber das über den alten Stechlin Gesagte, wurde weitergetragen und drang bis auf die Dörfer hinaus, so namentlich auch bis nach Quaden-Henners- dorf zu Superintendent Koseleger, der seit kurzem mit Ermyntrud einen lebhaften Verkehr unterhielt und, angeregt durch die mit jedem Tage kirchlicher werdende Prinzessin, einen energischen Vorstoß gegen die ringsumher immer mehr überhandnehmende Laxheit plante. Koseleger wie die Prinzessin wollten zu diesem Zwecke bei dem alten Dnbslav als zunächst zu Bekehrendem einsetzen, und hielten sein Asthma für den geeignetsten Zeitpunkt. In einem Brief der Prinzessin an Koseleger hieß es dementsprechend: „Ich will die gute Gesinnung des alten Herrn in nichts anzweifeln; außerdem hat er etwas ungemein Affables. Ich bin ihm menschlich durchaus Zngethan. Aber sein Prinzip, das nichts Höheres kennt, als ,leben und leben lassen", hat in unsrer Gegend alle möglichen Jrr- tümer und Sonderbarkeiten ins Kraut schießen lassen. Nehmen Sie beispielsweise diesen Krippenstapel. Und nun den Lorenzen selbst! Katzler, mit dem ich gestern über unfern Plan sprach, hat mich gebeten, mit Rücksicht aus die Krankheit des alten Herrn wenigstens vorläufig von allem Abstand zu nehmen, aber ich Hab' ihm widersprechen müssen. Krankheit (so viel ist richtig) macht schroff und eigensinnig, aber in bedrängten Atomenten auch ebenso sehr gefügig, und es sind wohl auch hier wieder Auferlegungen und Bitternisse, daraus ein Segen für den Kranken, und jedenfalls für die Gesamtheit entspringen wird. Unter allen Umständen aber muß uns das Bewußtsein trösten, unsre Pflicht erfüllt zu haben."
Es war eine Woche nach Sponholz' Abreise, daß Ermyntrud diese Zeilen schrieb, und schon am andern Vormittage fuhr Koseleger, der mit der Prinzessin im wesentlichen derselben Meinung war, ans die Stechliner Rampe. Gleich danach trat Engelke bei Dnbslav ein und meldete den Herrn Superintendenten.
„Koseleger?"
„Ja, gnad'ger Herr. Superintendent Koseleger. Er sieht sehr wohl aus, ganz blank."
„Was es doch für merkwürdige Tage giebt. Heute, du sollst sehn, ist wieder so einer. Mit Mo- scheles fing er an. Sage dem Herrn Superintendenten, ich ließe bitten."
„Ich komme hoffentlich zu guter Stunde, Herr von Stechlin."
„Zur allerbesten, Herr Superintendent. Eben war der neue Doktor hier. Und eine Viertelstunde, wenn's mit dem „xraessMe nrecUoo"" nur ein ganz klein bißchen was aus sich hat, muß solche Doktorgegenwart doch noch nachwirken."
„Sicher, sicher. Und dieser Moscheles soll sehr gescheit sein. Die Wiener und Prager verstehn es; namentlich alles, was nach der Seite hin liegt."
„Ja," sagte Dnbslav, „nach der Seite hin,"
und wies auf Brust und Herz. „Aber, offen gestanden, nach mancher andern Seite hin ist mir dieser Moscheles nicht ganz sympathisch. Er saßt seinen Stock so sonderbar an und schlenkert auch so. . ."
„Ja, so was muß man unter Umständen mit in den Kauf nehmen. Und dann heißt es ja auch, der Major von Stechlin habe mehr oder weniger einen philosemitischen Zug." .
„Den hat der Major von Stechlin auch, weil er Unchristlichkeiten nicht leiden kann und Prinzipienreitereien erst recht nicht. Ich gehöre zu denen, die sich immer den Einzelfall ansehn. Aber freilich, mancher Einzelfall gefällt mir nicht. So zum Beispiel der hier mit dem neuen Doktor. Und auch mein alter Baruch Hirschseld, den der Herr Superintendent ja wohl kennen werden, auch der gefällt mir nicht mehr so recht. Ich hielt große Stücke von ihm, aber — vielleicht daß sein Sohn Isidor schuld ist — mit einem Male ist der Pferdefuß 'rausgekommen."
„Ja," lachte Koseleger, „der kommt immer mal 'raus. Und nicht bloß bei Baruch. Ich muß aber sagen, das alles hat mit der Nasse viel weniger zu schaffen, als mit dem jeweiligen Berus. Da war ich eben bei der Frau von Gundermann. . ."
„Und da war auch so was?"
„Ja. Natürlich etwas Weibliches, -Stütze der Hausfrau". Und da bändelt sich denn leicht was an. Eben diese -Stütze der Hausfrau" war bis vor kurzem Gouvernante gewesen, und mit Gouvernanten, alten und jungen, hat's inaner einen Haken, wie mit den Lehrern überhaupt. Es liegt im Beruf, wobei männlich oder weiblich keinen Unterschied macht. Und der Seminarist steht obenan."
„Ich kann mich nicht erinnern," sagte Dubslav, „in unsrer Gegend irgend was Gröbliches derart erlebt Zn haben."
„O, ich bin mißverstanden," beschwichtigte Koseleger und rieb sich mit einem gewissen Behagen seine wohlgepflegten Hände. „Nichts von Vergehungen auf erotischem Gebiet, wiewohl es bei den Gundermanns, die gerad' aus diesem Punkte viel heimgesucht werden, auch diesmal wieder diese Form angenommen hatte. Nein, der große Seminaristen- pferdesnß, an den ich dachte, trägt ganz andre Signaturen: Unbotmäßigkeit, Ueberschätzung und infolge davon ein eigentümliches Bestreben, sich von den Heilsgütern loszulösen, und die Befriedigung des inneren Menschen in einer falschen Wissenschaftlichkeit zu suchen."
„Ich will das nicht loben; aber solche -falsche Wissenschaftlichkeit' zählt, dächt' ich, in unsrer alten Grafschaft zu den allerseltensten Ausnahmen."
„Nicht so sehr als Sie vermuten, Herr Major, und aus Ihrer eignen Stechliner Schule sind mir Klagen kirchlich gerichteter Eltern über solche Dinge Zugegangen. Allerdings Altlutheraner aus der Glob- sower Gegend. Aber so lästig diese Leute zu Zeiten sind, so haben sie doch andrerseits den ganzen Ernst des Glaubens und finden, wie sie sich in einem Skriptum an mich auch ausgedrückt haben, in der Krippen-