Stechlin,
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Gesicht, Engelke, aber ich will doch auch mal was andres sehn als dich. Wie das lütte Balg da so saß, so steif wie 'ne Prinzeß, Hab' ich immer hingekuckt und ihr wohl 'ue Viertelstunde zugesehn, wie da die Stricknadeln immer so hin und her gingen und der rote Strumpf neben ihr baumelte. So was Hübsches Hab' ich nicht mehr gesehn, seit zu Weihnachten die Grafschen hier waren, die blasse Comtesse und die Gräfin. Hat sie dir auch gefallen?"
Engelke griente.
„Na, ich fehe schon. Also Agnes bleibt. Und sie kann ja auch nachts mal aufstehn und mir eine Tasse von dem Thee bringen, oder was ich sonst grade brauche, und du alte Seele kannst ausschlafen. Ach, Engelke, das Leben is doch eigentlich schwer. Das heißt, wenn's auf die Neige geht; vorher is es so weit ganz gut. Weißt du noch, wenn wir von Brandenburg nach Berlin ritten? In Brandenburg war nich viel los; aber in Berlin, da ging es."
„Ja, gnäd'ger Herr. Aber nu kommt es."
„Ja, nn kommt es. Nu is Katzenpfötchen dran. So was gab es damals noch gar nicht. Aber ich will nichts sagen, sonst wird die Buschen ärgerlich, und mit alten Weibern muß man gut stehn; das is noch wichtiger als mit jungen. Und, wie gesagt, die Agnes bleibt. Ich sehe so gern was Zierliches. Es is ein reizendes Kind."
„Ja, das is sie. Aber..."
„Ach, laß die ,abers'. Du sagst, sie wird wie die Karline. Möglich is es. Aber vielleicht wird sie auch 'ne Nonne. Man kann nie wissen."
-X-
Agnes blieb also. Sie saß am Fenster und strickte. Mal in der Nacht, als ihm recht schlecht war, hatte er nach dem Kinde rufen wollen. Aber er stand wieder davon ab. „Das arme Kind, was soll ich ihm den Schlaf stören? Und helfen kann es mir doch nicht."
So verging eine Woche. Da sagte der alte Dubslav: „Engelke, das mit der Agnes, das kann ich nich mehr mit ansehn. Sie sitzt da jeden Morgen und strickt. Das arme Wurm muß ja hier umkommen. Und alles bloß, weil ich alter Sünder ein freundliches Gesicht sehn will. Das geht so nich mehr weiter. Wir müssen sehn, daß wir was für das Kind thun können. Haben wir denn nich ein Buch mit Bildern drin oder so was?"
„Ja, gnäd'ger Herr, da sind ja noch die vier Bände, die wir letzte Weihnachten bei Buchbinder Zippel in Gransee haben einbinden lassen. Eigentlich war es bloß 'ne Landwirtschaftliche Zeitung', und alle, die mal 'neu Preis gewonnen, die waren drin. Und Bismarck auch nn Kaiser Wilhelm auch."
„Ja, ja, das is gut; das gieb ihr. Und brauchst ihr auch nich zu sagen, daß sie keine Eselsohren machen soll; die macht keine."
Wirklich, die „Landwirtschaftliche Zeitung" lag am andern Morgen da, und Agnes war sehr glücklich, mal was andres Zu haben als ihr Strickzeug und die schönen Bilder ansehn zu können. Denn es waren auch Schlösser drin und kleine Teiche, drauf Schwäne fuhren, und auf einem Bilde, das eine Bei
lage war, waren sogar Husaren. Engelke brachte jeden Morgen einen neuen Band, und mal erschien auch Elfriede, die Lorenzen, um nach Dnbslavs Befinden fragen zu lassen, von der Pfarre herübergeschickt hatte. „Die kann sich ja die Bilder auch mit ansehen," sagte Dubslav; „am Ende macht es ihr selber Spaß, und vielleicht kann sie dem kleinen Ding, der Agnes, alles so nebenher erklären, und dann is es so gut wie 'ne Schulstunde."
Elfriede war gleich dazu bereit. Und nun standen die beiden Kinder nebeneinander und blätterten in dem Buch, und die Kleine sog jedes Wort ein, was die Große sagte. Dubslav aber hörte zu und wußte nicht, wem von beiden er ein größeres Interesse Anwender: sollte. Zuletzt aber war es doch wohl Elfriede, weil sie den wehmütigen Zauber all derer hatte, die früh abbernfen werden. Ihr zarter, beinahe körperloser Leib schien zu sagen: „Ich sterbe." Aber ihre Seele wußte nichts davon und leuchtete.
Das mit den Bilderbüchern dauerte mehrere Tage. Dann sagte Dubslav: „Engelke, das Kind fängt heute schon wieder von vorn an; es ist mit allen vier Bänden, so dick sie sind, schon Zweimal durch; ich sehe, wir müssen uns was Neues ausbaldowern. Das is nämlich ein Wort aus der Diebssprache; so weit sind wir nn schon. Uebrigens ist mir was Gutes eingefallen: hol ihr eine von unfern Wetterfahnen herunter. Die stehn ja da bloß so 'rum, nn wenn ich tot bin und alles abgeschätzt wird — was sie ,ordnen' nennen —, dann kommt Kupperschmied Reuter aus Gransee und taxiert es auf fünsnndsiebzig Pfennig."
„Aber, gnäd'ger Herr, uns' Woldemar..."
„Nu ja, Woldemar. Woldemar ist gut, natürlich, und die Comtesse, seine junge Frau, is auch gut. Alles is gut, und ich Hab' es auch so schlimm nich gemeint; man red't bloß so. Nur so viel is richtig: meine Sammlung oben is bloß noch für Spinnweb. Alles Sammeln ist überhaupt verrückt, und wenn Woldemar sich nich mehr drum kümmert, so is es eigentlich bloß Wiederherstellung von Sinn und Verstand. Jeder hat seinen Sparren, und ich habe meinen gehabt. Bring aber nich gleich alles 'runter. Nur die Mühle bring und den Dragoner."
Engelke gehorchte.
Den ersten Tag, wie sich denken läßt, war Agnes ganz für den Dragoner, der, als man ihn vor Jahr und Tag von seinem Zelliner Kirchturm heruntergeholt hatte, frisch aufgepinselt worden war: schwarzer Hut, blauer Rock, gelbe Hosen. Aber sehr bald hatte sich das Kind an der Buntheit des Dragoners sattgesehen, und nun kam statt seiner die Mühle an die Reihe. Tie hielt länger vor. Immer, wenn sie nur überhaupt erst im Gange war, brauchte das Kind bloß zu pusten, um die Mühlflügel in ziemlich rascher Bewegung zu halten, und der schnarrende Ton der etwas eingerosteten Drehvorrichtung war dann jedesmal eine Lust und ein Entzücken. Es waren glückliche Tage für Agnes. Aber fast noch glücklichere für den Alten.
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