bewahrt blieb, vor Neid und bösem Leumund. Er hatte keine Feinde, weil er selber keines Menschen Feind war. Er war die Güte selbst, die Verkörperung des alten Weisheitssatzes: Mas du nicht willst, daß man dir thu?
„Und das leitet mich denn auch hinüber aus die Frage nach seinem Bekenntnis. Er hatte davon weniger das Wort, als das Thun. Er hielt es mit den guten Werken und war recht eigentlich das, was wir überhaupt einen Christen nennen sollten. Denn er hatte die Liebe. Nichts Menschliches war ihm fremd, weil er sich selbst als Mensch empfand und sich eigner menschlicher Schwäche jederzeit bewußt war. Alles, was einst unser Herr und Heiland gepredigt und gerühmt, und an das er die Segensverheißung geknüpft hat, — all das war sein: Friedfertigkeit, Barmherzigkeit und die Lauterkeit des Herzens. Er war das Beste, was wir sein können, ein Mann und ein Kind. Er ist nun eingegangen in seines Vaters Wohnungen und wird da die Himmelsruhe haben, die der Segen aller Segen ist."
Einige der Anwesenden sahen sich bei dieser Schlnßwendung an. Am meisten bemerkt wurde Gundermann, dessen halb zustimmende, halb ablehnende Haltung bei den da versammelten „Alten und Echten", die wohl sich, aber nicht ihm ein Recht der Kritik zuschrieben, auch hier wieder ein Lächeln hervorries. Dann folgte mit erhobener Stimme Gebet und Einsegnung, und als die Orgel intonierte, senkte sich der aus dem Versenknngsstein stehende Sarg langsam in die Grnft. Einen Augenblick später, als der wiederaufsteigende Stein die Grustöffnung mit einem eigentümlichen Klappton schloß, hörte man von der Kirchenthür her erst ein krampfhaftes Schluchzen und dann die Worte: „Nu is et nt; nu möt ick ook weg." Es war Agnes. Man nahm das Kind von dem Schemel herunter, auf dem es stand, um es unter Zuspruch der Nächststehenden ans den Kirchhof hinauszuführen. Da schlich es noch eine Weile weinend Zwischen den Gräbern hin und her und ging dann die Straße hinunter auf den Wald zu.
Die alte Buschen selbst hatte nicht gewagt, mit dabei zu sein.
Unter denen, die draußen ans dem Kirchhof standen, waren auch von Molchow und von der Nonne. Jeder von ihnen wartete aus seine Kutsche, die, weil der Andrang so groß war, nicht gleich Vorfahren konnte. Beide froren bitterlich bei der scharfen Luft, die vom See herwehte.
„Ich weiß nicht," sagte von der Nonne, „warum sie die Feier nicht im Hause, wo sie doch Heizen konnten, abgehalten haben; es war ja da drin gar keine menschliche Temperatur mehr. Und nun erst hier draußen."
„Is leider so," sagte Molchow, „und ich werde wohl auch mit 'ner Kopskolik abschließen. Und mitunter stirbt man dran. Aber wenn man in Berlin is (und ich habe da neulich auch so was mitgemacht), da is es doch noch schlimmer. Da haben sie was, was sie 'ne Leichenhalle nennen, 'ne Art Kapelle mit
Bibelspruch und Lorbeerbäumen, und dahinter verstecken sich ein paar Gesangsmenschen. Wenn man sie nachher sieht, sehen sie freilich sehr gesrühstückt aus."
„Kenn' ich, kenn' ich," sagte Nonne.
„Nu der Gesang," fuhr Molchow fort, „das ginge noch, den kann man schließlich anshalten. Aber der Fußboden und der Zug durch die offenstehende Thür. Und wenn man noch bloß den kriegte. Wer aber Pech hat, der kommt, wenn's Winter is, dicht neben einen Kanonenosen zu stehn, und wenn ich sage, ,der pnsteU, so sag' ich noch wenig. Und der Geistliche kann einem auch leid thun. Wer kann denn bei solchem Zug und solchem Osenpusten ordentlich zuhören? Und bloß das weiß ich, daß ich immer an die drei Männer im feurigen Ofen gedacht habe. So halb Eisklumpen, halb Bratapfel is nich mein Fall."
„Ja, die Berliner," sagte Nonne. . . „Nich zu glauben."
„Nich zu glauben. Und dabei bilden sie sich ein, sie hätten eigentlich alles am besten. Und mancher von ihnen glaubt es auch wirklich. Aber die Hölle lacht."
„Ich bitte Sie, Molchow, menagieren Sie sich! Das über Berlin, na, das ging' am Ende noch. Aber so gleich von Hölle hier, hier mitten auf 'nem christlichen Kirchhof..."
Bald danach hatte sich der Kirchhof geleert, und alles, was in der Grafschaft wohnte, war auf dem Heimwege. Nur die von Berlin her erschienenen Gäste, die den nächsten, an Gransee vorüberkommenden Zug abzuwarten hatten, waren in das Herrenhaus zurückgekehrt, wo mittlerweile für einen Imbiß Sorge getragen war. Rex und Czako, desgleichen auch die Berchtesgadens, nahmen erst ein Glas Wein und dann eine Tasse Kaffee. Zwischen dem alten Grasen und Adelheid knüpfte sich ein mäßig belebtes Gespräch an, wobei der Gras der Vorzüge des Verstorbenen gedachte. Da Schwester Adelheid indes, wie so viele Schwestern, allerlei Zweifel und Bedenken hinsichtlich des Thuns ihres Bruders hegte, so ging man bald zu den Kindern über und beklagte, daß sie bei einer so schönen Feier nicht hätten zugegen sein können. Dazwischen wurde dann freilich das fast entgegengesetzt klingende Bedauern laut, daß das junge Paar seinen Aufenthalt im Süden wohl werde abbrechen müssen. Der alte Graf in seiner Güte fand alles, was Adelheid sagte, sehr verständig, während sich Adelheids Gefühle mit der Anerkennung begnügten, daß sie sich den Alten eigentlich schlimmer gedacht habe.
XI,IV.
Melusine war aus der Kirche mit in das Herrenhaus zurückgekehrt und widmete sich hier aus eine kurze Weile zunächst ihren Freunden, den Berchtesgadens, dann Rex und Czako. Danach ging sie in die Pfarre hinüber, um Lorenzen zu danken und noch ein kurzes Gespräch mit ihm über Woldemar und Arm- gard zu haben, im wesentlichen eine Wiederholung alles