Stechlin.
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unbekümmert darum, ob ein Blitz sie niederschlägt, oder eine Explosion sie in die Luft schleudert; da sind dann weiter die großen Kletterer und Steiger, sei's in die Höh', sei's in die Tiefe, da find die Jkarusleute, die zur Sonne wollen, da find die, die den Meeresgrund absuchen wie 'ne Wiese, und da sind die Weltteildurchquerer und die Nordpolfahrer."
„Ach, der ewige Nansen. Nansen, der, weil er die bei Sibirien verlorene Hofe bei Grönland wiederfand, auf den Gedanken kam: Mas die Hose kann, kann ich auch? Und daraufhin fuhr er über den Pol oder wollte wenigstens."
Lorenzen nickte. „Nun ja, das war klug gedacht. Und daß Nansen sich an die Sache 'ran machte, das respektier' ich, auch wenn schließlich nichts draus wurde. Bleibt immer noch ein Bravourstück. Gewiß, da sitzt nu so wer im Eise, sieht nichts, hört nichts, und wenn wer kommt, ist es ein Eisbär. Aber er freut sich doch, weil es wenigstens was Lebendiges ist. Ich darf sagen, ich Hab' einen Sinn für dergleichen. Aber trotzdem, Lorenzen, die Garde bei St. Privat ist doch mehr."
„Ich weiß nicht, Herr von Stechlin. Echtes Heldentum, eines, das mich Hinreißen soll, steht immer im Dienst einer Eigenidee, eines allerpersönlichsten Entschlusses, auch wenn dieser Entschluß vielleicht schon das Verbrechen streift. Ja, mitunter daun erst recht. Kennen Sie den Cooperschen ,8,M? Da habeil Sie den Spion als Helden. Mit andern Worten, das Gemeinste als Höchstes. Die Gesinnung entscheidet. Das steht mir fest. Aber es giebt der Beispiele noch andre, noch bessere!"
„Da bin ich neugierig," lachte Dubslav. „Also wenn's sein kann: Name."
„Name: Greeley, Lieutenant Greeley; Jankee pur 8uug. Und im übrigen auch einer aus der Nordpolfahrergruppe."
„Will also sagen: Nansen der Zweite."
„Nein, nicht der Zweite. Was er that, war viele Jahre vor Nansen."
„Und kam er höher hinaus.? Ich meine, nach dem Pol. Oder waren seine Eisbärrencontres von noch ernsthafterer Natur?"
„All das würde mir nicht viel besagen. Das herkömmlich Heldische fehlt in seiner Geschichte ganz. Was an seine Stelle tritt, ist ein andres, aber dies andre, das gerade macht es."
„Und das war?"
„. . . Nun denn, — ich erzähle nach dem Gedächtnis und iil Nebensächlichem irr' ich vielleicht — es waren ihrer noch fünf, Greeley selbst und vier Mannschaften. Das Schiff hatten sie verlassen, und so zogen sie hin über Eis und Schnee. Sie wußten den Weg, soweit sich da von Weg sprechen läßt, und die Sorge war nur, ob das bißchen Proviant, das sie mit sich führten, Schiffszwieback und gesalzenes Fleisch, bis an die nächste menschenbewohnte Stelle reichen würde. Jedem war ein höchstes und doch zugleich auch allergeringstes Maß als tägliche Provision Zubewilligt, und wenn man das einhielt und kein Zwischenfall kam, so mußte es reichen. Und einer, der noch am meisten bei Kräften war, schleppte
den gesamten Proviant. Das ging so durch Tage. Da nahm Lieutenant Greeley wahr, daß der Proviant schneller hinschmolz als berechnet, und nahm auch wahr, daß der Proviantträger selbst, wenn er sich nicht beobachtet glaubte, heimlich von den Rationen nahm. Das war eine schreckliche Wahrnehmung. Denn ging es so fort, so waren sie samt und sonders verloren. Da nahm Greeley die drei andern beiseite und beriet mit ihnen. Eine Möglichkeit gewöhnlicher Bestrafung gab es nicht, und auf einen Kamps sich einzulassen, ging auch uicht. Sie hatten dazu die Kräfte nicht mehr. Und so schloß denn das Kriegsgericht damit, daß Greeley sagte: Mir müssen ihn hinterrücks erschießen? Und als sie, der so heimlich Verurteilte die Tete nehmend, gleich danach wieder ausbrachen, trat Greeley von hintenher an ihn heran und schoß ihn nieder. Und die That war nicht umsonst ge- than; ihre Nationen reichten aus, und an dem Tage, wo sie den letzten Bissen verzehrten, kamen sie bis an eine Station."
„Und was wurde weiter?"
„Ich weiß nicht mehr, ob Greeley selbst als Ankläger gegen sich austrat oder einer von den Dreien, die mit ihm waren; aber das weiß ich, daß es zu einer großen Verhandlung kam."
„Und in dieser..."
„. . . In dieser wurd' er freigesprochen und im Triumph nach Hause getragen."
„Und Sie sind einverstanden damit?"
„Vollkommen. Und zugleich auch voll Bewunderung. Greeley, statt Zu thun, was er that, hätte ja zu den Gefährten sagen können: ,Unser Exempel wird falsch, und wir gehen an des einen Schuld zu Grunde; töten mag ich ihn nicht, — sterben wir also alle? Für seine Person hätte er so sprechen und handeln können. Aber es handelte sich nicht bloß um seine Person; er hatte die Führer-, die Besehlshaber- uud zugleich die Richter-Pflicht und hatte die Majorität von drei gegen die Minorität von einen: zu schützen. Was dieser eine gelhan, an und für sich ein Nichts, war unter den Umständen, unter denen es geschah, ein fluchwürdiges Verbrechen. Und so nahm er denn gegen die geschehene That die Gegenthat auf sich. In solchem Augenblick richtig fühlen und in der Ueberzeugung eines richtigen Fuhlens fest und unbeirrt ein furchtbares Etwas thun, ein Etwas, das, aus seinem Zusammenhänge gerissen, allen: göttlichen Gebot, allem Gesetz und aller Ehre widerspricht, das imponiert mir ganz ungeheuer und ist in meinen Augen der wirkliche, der wahre Mut. Schmach und Schimpf haben sich von jeher an alles Höchste geknüpft, im Leiden gewiß, aber oft auch in unser::: Thun. Der Blut im Bataillon, in der Masse (bei allem Respekt davor), ist nur ein Herdenmut."
Dubslav sah vor sich hin. Er war augenscheinlich in einen: Schwankczustand, ob er zustimmen oder ablehneu sollte. Dann aber nahm er die Hand Lorenzens und sagte: „Sie sollen recht haben."
XXXIX.
Dubslav hatte nach Lorenzens Besuch eine gute Nacht. „Wenn man mal so was andres hört, wird