Heft 
(1897) 12
Seite
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Stechlin.

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für ein freudiges ,6xee1sior' ist, der ist bei den Ostelbiern (Pardon, Sie gehören ja felüst dazu) von vornherein verdächtig und ein Gegenstand tiefen Mißtrauens. Jedes höher gesteckte Ziel, jedes Wollen, das über den Kartoffelsack hinausgeht, findet kein Verständnis, sicherlich keinen Glauben. Und bringt einer irgend ein Opfer, fo heißt es bloß, daß er die Wurst nach der Speckseite werfe."

Dubslav lachte.Lorenzen, Sie fitzen wieder auf Ihrem Steckenpferd. Aber ich selber bin freilich schuld. Warum kam ich auf Bennigsen! Da war das Thema gegeben, und Ihr Ritt ins Bebelfche (denn weitab davon sind Sie nicht) konnte beginnen. Aber daß Sie's wissen, ich Hab' auch mein Stecken­pferd, und das heißt: König und Kronprinz oder alte Zeit und neue Zeit. Und darüber Hab' ich feit lange mit Ihnen sprechen wollen, nicht akademisch, sondern märkisch-praktisch, fo recht mit Rücksicht auf meine nächste Zukunft. Denn es heißt nachgrade bei mir: ,Was du thun willst, thue bald?"

Lorenzen nahm des Alten Hand und sagte: Gewiß kommen andre Zeiten. Aber man muß mit der Frage, was kommt und was wird, nicht zu früh an­fangen. Ich seh' nicht ein, warum unser alter König von Thule hier nicht noch lange regieren sollte. Seinen letzten Trunk Zu thun und den Becher dann in den Stechlin Zu werfen, damit hat es noch gute Wege."

Nein, Lorenzen, es dauert nicht mehr lange; die Zeichen sind da, mehr als zu viel. Und damit alles klappt und paßt, geh' ich nun auch gerad' ins Siebenundsechzigste, und wenn ein richtiger Stechlin ins Siebenundsechzigste geht, dann geht er auch in Tod und Grab. Das is so Familientradition. Ich wollte, wir hätten eine andre. Denn der Mensch is nun mal feige und will dies schändliche Leben gern weiterleben."

Schändliches Leben! Herr von Stechlin, Sie haben ein sehr gutes Leben gehabt."

Na, wenn es nur wahr ist! Ich weiß nicht, ob alle Globsower ebenso denken. Und die bringen mich wieder auf mein Hauptthema."

Und das lautet?"

Das lautet: /Teuerster Pastor, sorgen Sie dafür, daß die Globsower nicht zu sehr obenauf kommen?"

Aber, Herr von Stechlin, die armen Leute..."

Sagen Sie das nicht. Die armen Leute! Das war mal richtig; heutzutage paßt es aber nicht mehr. Und solch unsichere Passagiere wie mein Woldemar und wie mein lieber Lorenzen (öon dem der Junge, Pardon, all den Unsinn hat), solche unsichere Passa­giere, statt den Riegel vorzuschieben, kommen den Torgelowschen aus halbem Weg entgegen und sagen: ,Ja, ja, Töffel, du hast auch eigentlich ganz recht/ oder, was noch schlimmer ist: ,Ja, ja, Jochen, wir wollen mal nachschlagen. "

Aber, Herr von Stechlin."

Ja, Lorenzen, wenn Sie auch noch solch gutes Gesicht machen, es ist doch so. Die ganze Geschichte wird auf einen andern Leisten gebracht, und wenn dann wieder eine Wahl ist, dann fährt Woldemar 'rum und erzählt überall, ,Katzenstein sei der rechte Mann'.

Ueber Land und Meer. Jll. Okt.-Hefte. XIV. 12.

Oder irgend ein andrer. Aber das is Mus wie Mine; verzeihen Sie den etwas fortgeschrittenen Ausdruck. Und wenn dann die junge gnädige Frau Besuch kriegt oder wohl gar einen Ball giebt, da will ich Ihnen ganz genau sagen, was und wer dann hier in diesem alten Kasten, der dann aber renoviert ist, antritt. Da ist in erster Reihe der Minister von Ritzenberg geladen, der, wegen Kaltstellung unter Bismarck, von langer Hand her eine wahre Wut auf den alten Sachsenwalder hat, und eröffnet die Polonaise mit Armgard. Und dann ist da ein Professor, Kathedersozialist, von dem kein Mensch weiß, ob er die Gesellschaft einrenken oder ans den Fugen bringen will, und er führt eine Adlige mit kurzgeschnittenem Haar, die natürlich schriststellert. Und dann bewegen sich da noch ein Asrikareisender, ein Architekt und ein Porträtmaler, und wenn sie nach den ersten Tänzen eine Pause machen, dann stellen sie ein lebendes Bild, wo ein Wilddieb von einem Edelmann erschossen wird, oder sie führen ein französisches Stück auf, das die Dame mit dem kurzgeschnittenen Haar übersetzt hat, ein sogenanntes Ehebrnchsdrama, drin eine Advokatenfrau gefeiert wird, weil sie ihren Mann mit einem Taschenrevolver über den Haufen geschossen hat. Und dann giebt es Musikstücke, bei denen der Klavierspieler mit seiner langen Mähne über die Tasten hinsegt, und in einer Nebenstube sitzen andre und blättern in einem Album mit lauter Berühmtheiten, obenan natürlich der alte Wilhelm und Kaiser Friedrich und Bismarck und Moltke, und ganz gemütlich dazwischen Mazzini und Garibaldi und Marx und Lassalle, die aber wenigstens tot sind, und daneben Bebel und Liebknecht. Und dann sagt Woldemar: .Sehen Sie da den Bebel. Mein politischer Gegner, aber ein Mann von Gesinnung und Intelligenz? Und wenn dann ein Adliger aus der Residenz an ihn herantritt und ihm sagt: ,Jch bin überrascht, Herr von Stechlin, ich glaubte den Grafen Schwerin hier zu finden/ dann sagt Woldemar: ,Jch habe die Fühlung mit diesem Herrn verloren?"

Der Pastor lachte.Und Sie wollen sterben? Wer so lange sprechen kann, der lebt noch zehn Jahre."

Nichts, nichts. Ich halte Sie fest. Kommt es so, oder kommt es nicht so?"

Nun, es kommt sicherlich nicht so."

Sind Sie dessen sicher?"

Ganz sicher."

Dann sagen Sie mir, wie es kommt, aber ehrlich."

Nun, das kann ich leicht, und Sie haben mir selber den Weg gewiesen, als Sie gleich anfangs von,König und Kronprinz' sprachen. Dieser Gegen­satz existiert natürlich überall und in allen Lebens- Verhältnissen. Es kommen eben immer Tage, wo die Leute nach irgend einem,Kronprinzen' aussehn. Aber so gewiß das richtig ist, noch richtiger ist das andre: der Kronprinz, nach dem ansgeschaut wurde, hält nie das, was man von ihm erwartete. Manchmal kippt er gleich um und erklärt in plötzlich erwachter Pietät, im Sinne des Hochseligen weiter-

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