Heft 
(1956) 2
Seite
62
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Enfant perdu

Verlorner Posten in dem Freiheitskriege,

Hielt ich seit dreißig Jahren treulich aus.

Ich kämpfte ohne Hoffnung, daß ich siege,

Ich wußte, nie komm ich gesund nach Haus.

Ich wachte Tag und Nacht Ich könnt nicht schlafen, Wie in dem Lagerzelt der Freunde Schar

(Auch hielt das laute Schnarchen dieser Braven Mich wach, wenn ich ein bißchen schlummrig war).

In jenen Nächten hat Langweil ergriffen

Mich oft, auch Furcht (nur Narren fürchten nichts)

Sie zu verscheuchen, hab ich dann gepfiffen

Die frechen Reime eines Spottgedichts.

Ja, wachsam stand ich, das Gewehr im Arme,

Und nahte irgendein verdächtger Gauch,

So schoß ich gut und jagt ihm eine warme,

Brühwarme Kugel in den schnöden Bauch.

Mitunter freilich mocht es sich ereignen,

Daß solch ein schlechter Gauch gleichfalls sehr gut Zu schießen wußte ach, ich kanns nicht leugnen Die Wunden klaffen es verströmt mein Blut.

Ein Posten ist vakant! Die Wunden klaffen

Der eine fällt, die andern rücken nach

Doch fall ich unbesiegt, und meine Waffen Sind nicht gebrochen Nur mein Herze brach.

Heinrich Heine