Issue 
(1956) 3
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oft begegnenden. Frage: Was hatte sich hier zugetragen? Waren die Ehefrau und vielleicht deren Dienerin dem Manne freiwillig in den Tod gefolgt? Hatten sie ihm folgen müssen? Oder hatten sie, wie Kurt Pastenaci es in seiner Erzählung von der großen Auseinandersetzung zwischen Illyriern und Germanen und dem tragischen Ende mit der Beisetzung im Grabe von Seddin schildert, bei dem Versuch, dem Manne beizuspringen und den Sohn zu bergen, ihr Leben geopfert? Keiner weiß es. Das Geheimnis des Grabes ist gelüftet, aber das Geheimnis der Menschen, die in ihm ruhten, bleibt. Es müssen wertvolle Frauen gewesen sein, die ihren Platz in der reichen Grabkammer des Königs und an seiner Seite bekamen.

Zu dem Aufschlußreichsten aber, das noch in der Grabkammer gefunden wurde, und das der Laie vielleicht kaum oder doch nur gering achtet, gehörten zwei verklumpte und stark vom Rost mitgenommene Eisenstücke. Das eine war als starke Nähnadel, ähnlich unserer heutigen Sacknadel, noch erkennbar. Das andere wsr mit den Resten von Pelzwerk unförmig verklumpt und durch die Oxydation völlig undeutbar geworden. Diese beiden Eisenstücke sind deshalb so wertvoll, weil sie nach der Ansicht von Professor Kiekebusch wohl das älteste Eisen darstellen, das wir in Deutsch­land überhaupt kennen. Sie datieren auch einwandfrei die Entstehung des Seddiner Königsgrabes an das Ende der Bronzezeit, also um 1000 bis 800 v. d. Z., in die Zeit also, als es den Menschen gelang, höhere Tempera­turen zu erzeugen, um so nicht nur Blei, Kupfer und Zinn, sondern auch das Eisen aus den Erzen herausschmelzen zu können. Als unser Seddiner Grab entstand, war das Eisen noch sehr selten und so kostbar, daß es wert war, einem Könige mit ins Grab gegeben zu werden.

Überschauen wir das soeben Erlebte, das uns in die Tage der Aufdeckung des Königsgrabes zurückführen sollte, so fühlen wir, daß es ein bedeuten­der Mensch gewesen sein muß, dem solch ein Grab bereitet wurde. Der künstlich errichtete Hügel hatte einen Durchmesser zwischen 80 und 90 Meter, seine Höhe betrug 11 Meter. 30 000 Kubikmeter, das sind ebensoviel Zweispännerfuhren, hatten die Mannen aus Erde und Stein über ihren Toten getürmt. Wenn jeder dieser Männer nur einen Kubikmeter herbei­schaffte, dann waren 30 000 Gefolgsleute nötig. Rund um den Hügel legten sie einen weiten Kranz von mächtigen Findlingen, um durch diesen Bann­kreis die Geister abzuhalten, den Schlaf ihres Toten zu stören. Viele dieser gewichtigen Felsblöcke liegen heute noch da und beeindrucken uns in ihrer Mächtigkeit, wie denn auch der zerrissene Hügel selbst, aus dem tausende Fuder Steine davongefahren sind, uns heute noch in der Größe seiner Anlage in Ehrfurcht und Bewunderung verharren läßt.

Fürwahr, ein überragender Mann muß der hier Bestattete einst gewesen sein, ein ganz Großer! Wir sehen den Reichtum der kultischen Handlungen bei seiner Beisetzung, die Grabzeremonien, die feierlichen, gemessenen Tänze; wir hören die tragende Trauer der Luren und die schweren, ernsten

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