Die Abstammung von Wenden, Pfeifern (Musikanten), Schäfern oder Leinewebern war für die Aufnahme in die Gilde ein Hinderungsgrund. Trotzdem weigerte sich das Lenzener Gewerk, die Meisterswitwe aufzunehmen. Erst auf eine Beschwerde beim Landesherrn und dessen Drohung auf Auflösung der Gilde kam sie zu ihrem Recht.
Trotz der Einschränkungen, wie sie Artikel 2, 3 und 4 der Zunftordnung sowie Artikel 7 zeigen: „So viel das Gesinde anreichet, so soll Keinem Meister ordinair mehr alß zwey Gesellen und einen Jungen auf einmahl anzunehmen und zu halten vergönnet seyn“, tritt immer deutlicher eine Erstarrung und Verarmung des Handwerks ein.
Anhand der Unterlagen, die für das Schneiderhandwerk von Lenzen vorhanden sind, soll einmal die weitere Entwicklung der Gewerke gezeigt werden, die in ähnlicher Form auch für die andern Gilden zutrifft.
Aus den Gesellen- und Meisterprüfungen wurde ein Ritus gemacht, der in allerlei unsinnigen Forderungen ausartete. Nicht die Güte des Gesellen- oder Meisterstücks war maßgebend, sondern das Bestehen des Zeremoniells, bei dem die Lehrlinge wortwörtlich .geschlagen 1 wurden. Fehler am Meisterstück konnten durch Geld abgekauft werden.
Sofern die Zunftordnungen nicht schon vorher erneuert worden waren, wurden sie durch das Generalpatent vom 24. September 1740 aufgehoben mit dem Gebot, sie erneut zur Genehmigung vorzulegen. Die Lenzener Schneidergilde erhielt bereits im Jahre 1735 ihr neues Generalprivilegium. In dem Vorwort heißt es, daß sich bei den Gilden und Handwerkern Mißbräuche eingeschlichen haben, die teils eingeführt, teils beibehalten wurden oder aus alten schädlichen Gewohnheiten stammen, die dergestalt überhand genommen haben, daß sie große Unordnung nach sich zogen. Die unter dem Vorwand einer alten „Observantz“ eines Handwerksgebrauchs oder vermeintlichen löblichen Herkommens üblichen „läppischen Ceremonien und Compümenten“ werden hierdurch gänzlich verboten.
Die Zunftlade glich einem Heiligtum, über dem geschworen wurde, und aus deren Aufschließen und Tragen wurden abergläubische Schlüsse gezogen. Darum heißt es im Artikel XII: „Den Meistern wollen Wir eine Lade zur Verwahrung der Briefschaften und Gelder fernerhin gestatten, jedoch verbieten Wir aufs nachdrücklichste alle• altväterlichen und theils abergläubischen Ceremonien, so mit derselben, theils bey den Gewerks- Versammlungen, theils wenn sie von einem Altmeister zum anderen gebracht werden müssen, gemacht worden, und wollen dieselbe im geringsten nicht anders als einen anderen Kasten oder Lade, so zu weiter nichts als etwas darin zu verwahren, verfertigt angesehen wissen. Entsprechend sind auch Gesellen-Laden, schwarze Tafeln usw. auf dem Rathaus abzuliefern!“ In diesem Gewerbeprivileg sind auch wieder die Bestimmungen zum Schutz des Kunden aufgenommen. Wenn ein Meister jemanden über Gebühr warten läßt und darüber Klage beim Magistrat geführt wird, soll der
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