HEINZ MUCHOW
93om utt^eilbcrfünbcnbcn ©rächen tutb ba^inter ftccft
Es sind nun einige Jahrzehnte her. Damals war Jochen noch ein junger, kräftiger Bursche, der tagsüber bei einem Bauern schwere Arbeit für geringe Entlohnung leistete. Eines Sommerabends machte er sich nach einem Tag angestrengter Arbeit mit seinem Freund Krischan auf den Weg ins Nachbardorf. Es war schwül, und vom Westen her schob sich eine Wolkenbank heran, aus der es schon seit längerer Zeit wetterleuchtete. Noch bevor die beiden Freunde ihr Ziel erreicht hatten, war das Gewitter heraufgezogen. Der Wind nahm sich auf, und die Blätter, die bisher leblos an den Zweigen gehangen hatten, begannen zu tuscheln. Vor dem blaugrauen Himmel nahm das Grün der Wiesen einen grell-giftigen Ton an. Die Abstände zwischen Blitz und Donner wurden von Mal zu mal kürzer. Der Regen hielt noch zurück, wenn auch schon einige schwere Tropfen gefallen waren. Da, plötzlich zeigte Krischan auf eine Baumgruppe, die sich etwa zweihundert Meter entfernt an einem Erdwall hinzog, und sagte: „Süh, dor an de Eiken!“ Jochen blickte in die gewiesene Richtung, aber er konnte wirklich nichts entdecken. Krischan machte ein ganz verdutztes Gesicht und zeigte erneut in dieselbe Richtung. „Dor, de Droak, bi de Eiken!“ Beim besten Willen, Jochen sah keinen „Drachen“. Ängstlich und über Jochens fragendes Dreinschauen verwundert, meinte Krischan dann erregt, daß er gerade dort wieder den „feurigen Drachen“ erblickt habe — eine kleine Feuerkugel mit einem langen Schweif. Das sei der Drache, der Teufel selbst, der nichts Gutes bedeute und nur Unheil bringe.
Beider konnte Jochen auch diesmal den angeblichen Drachen nicht entdecken, obwohl sein älterer Freund doch schon öfter davon berichtet hatte. Von Jochens Arbeitgeber, einem Bauern, der in seiner Landwirtschaft immer gute Erfolge gehabt hatte, erzählte man sich auch im geheimen: „Hei steit mit’n Düwel im Bund. De Droak flücht em in denn Schonsteen un bröcht em dat Glück.“ Anderen Bauern aber solle derselbe Drache Unglück und Schaden bringen.
Solche und ähnliche Geschichten über den „unheilbringenden Drachenwerden wohl noch heute hier und dort an den langen Winterabenden in unseren Dörfern erzählt. Und interessierte und gespannte Zuhörer Anden sich dafür auch heute noch. Aber die Welt bleibt nicht stehen. So ist mit der Einführung moderner Technik auf dem Lande, mit dem Anschluß unserer Dörfer an das elektrische Lichtnetz und nicht zuletzt mit der Verbesserung unseres ländlichen Schulwesens auch die geistige Entwicklung unserer Menschen auf dem Lande wesentlich gestiegen. Die Menschen trachten nach immer neuen Erkenntnissen, die die abergläubische Angst überwinden
217