Heft 
(1956) 7
Seite
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WERNER SCHLICHT . WERNER KRÜGER

Die Geschichte der Märkischen Oelwerke in Wittenberge

Zum 100 jährigen Bestehen des Betriebes

Die erste und somit älteste industrielle Anlage in Wittenberge ist die Ölfabrik, welche im Jahre 1823 erbaut wurde. Gründer der Werke war die Familie Herz. Dieser Industrielle stammt aus einer Bankiersfamilie in Anhalt, er war zugleich Großaktionär der Berlin-Hamburger- und Magde- burg-Halberstädter Eisenbahn. Als solcher hatte er entscheidenden Anteil daran, daß die Eisenbahn BerlinHamburg über Wittenberge gelegt wurde. Die neue Ölfabrik wurde in der Zeit gegründet, als sich auch in Deutsch­land der Kapitalismus zu entwickeln begann. Aus diesem Grunde hat sie auch für Wittenberge, das damals etwa 1000 Einwohner zählte, eine ent­scheidende Bedeutung im Aufstieg von Industrie und Gewerbe.

Die Produktionsweise der damaligen ölwerke war denkbar primitiv. Sie arbeiteten zunächst mit Handbetrieb, dann gelangten gewöhnliche Schle­gelpressen und Pferdekräfte zur Anwendung. 1827 wurden hydraulische Pressen eingeführt. In den späteren Jahren, etwa 1835, arbeiteten täglich ca. 24 Pferde, insgesamt verfügte die Ölmühle über 60 Pferde. Die Zahl der beschäftigten Arbeiter betrug 50.

Verarbeitet wurden vor allen Dingen die Erzeugnisse des Flachs-, Raps­und Rübsenbaus aus dem norddeutschen Flachlande. Hauptlieferungs­gebiete waren die Prignitz, die Altmark, Mecklenburg und Holstein. Aus­ländische Ölsaaten kamen aus Rumänien. Indien und Rußland. Es wurden täglich rund 80 000 kg Ölsaaten gepreßt. Mit dieser Produktion war die Herzsche Ölmühle eine der größten und bedeutendsten in Europa. Bis 1910 wurde auf die eben beschriebene Weise produziert. Die Produktion nahm folgenden Gang: Die Saat wurde gemahlen, danach wurde sie zwei­mal gepreßt. Eine Extraktionsanlage bestand bis zum Jahre 1940 noch nicht. Damit war die Ölmühle eine einfache Rohölpresserei. Das Ergebnis waren Rohöl und Ölkuchen. Das gewonnene Rohöl wurde vor dem ersten Weltkrieg vornehmlich zu Leucht- und Schmierzwecken verwandt, nur zeitweise als Speiseöl. Ein Teil der fertigen öle wurde im eigenen Betrieb zu Faktis, dem Ausgangsprodukt des synthetischen Gummis, weiterver­arbeitet. Die Faktisarten (weißer und brauner) dienten als Füllstoff für Gummi und Linoleum. Er wurde z. T. in die Gummiwarenfabrik der Fa. Herz in Berlin-Köpenick transportiert, z. T. wurde er an andere Fabriken weiterverkauft, die daraus Isoliermasse herstellten. Der ..schwim­mende Faktis wurde um 1914 hauptsächlich an Flugzeugfabriken gelie­fert. Rückstände der Presserei, die Ölkuchen, waren eine willkommene Futtergrundlage in der Viehzucht.

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