Heft 
(1956) 7
Seite
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bildet das Platt den lebendigen Untergrund der Sprache des dörflichen Alltags, aber die historische Bedeutung ist für immer gebrochen. In dem Grade, wie der Mensch zur Kulturform, zur künstlich geschaffenen Lebens­form, übergeht, erstirbt in ihm die natürliche Ursprünglichkeit. Das ist der Grund, warum die Sprache durch leblose Reflexionen verflacht und in ge­drechselten Stilen geradezu erstirbt.

Die deutsche Sprache ist der edelste Besitz unserer Kultur. Auf ein un­vorstellbares Alter geht sie zurück. Älter ist sie, als wir ihrer in Dokumen­ten habhaft werden. Wenig wissen wir um den Ursprung dieser Sprache. Aber wir wissen, daß sie sich entwickelte, seit Menschen die Wälder der nordischen Wildnis bevölkerten und zur Verständigung strebten.

Die germanischen Stämme verfügten über keine Schriftsprache. Aber die Staatengründungen, welche aus den Geschicken der Völkerwanderung her­vorgingen, machten diese unentbehrlich. Deshalb bediente man sich der lateinischen Sprache. Der geistliche Stand und die Klöster (Prämonstraten- ser Havelberg 1144, Zisterzienser in Marienfließ 1230 und Heiligengrabe 1243) erhoben die lateinische Sprache zu ihrer Amtssprache. Je mehr in den Tagen Gregors VII. das Kirchliche mit dem Staatlichen verwuchs, um so mehr gewann die lateinische Sprache an Raum. Das Bistum Havelberg besaß, wie die weltlichen Mächte, feudalen Grundbesitz größten Aus­maßes. Damit hatte die katholische Geistlichkeit Verwaltung, Gericht und literarisches Leben in ihrer Hand. Gelehrte Laienbildung war eine Aus­zeichnung vornehmster höfischer Kreise. Deshalb ließ der Klerus der Kathedrale Havelberg die ritterlichen Lehnsurkunden in den ,.Kopial- büchern, Rechtssprüche und Weisungen in lateinischer Sprache verfassen:

983 Havelberg Destructa ibidem episcopalis cathedra (Die dortige bischöfliche Kathedrale wurde zerstört)

1066 Lenzen in urbe Leontio, que alio nomine Lenzin dicitur

1179 Havelberg in kathedrali sede edeficandi civitatem

(Erlaubnis zur Ortsanlage auf dem Domberg durch Kaiser Friedrich)

1300 Der Havelberger Klerus fordert von seinen Geistlichen: bene legere, bene construere et bene cantare et congrue loqui latinis verbis (Gut lesen, konstruieren, singen und angemessen lateinisch sprechen)

1343 Bäk duos man sps in Villa Beke

1347 bis 1350, als-die Perleberger Zünfte und Gilden neben denen der Schwesterstädte Stendal, Pritzwalk. Wittstock und Kyritz in ihre Blütezeit traten, drängte der Lebensboden der Stammessprache mit Macht wieder zum Licht. 1340 hatte schon das Stendaler Zunftregiment gegen das kirch­liche Schulwesen opponiert. Nun forderte das Platt sein Recht:

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