Thurm und Kirche ausgebawet.“ (Sückow). Wie seicht und hohl wird dagegen die höfische Sprache. Heuchlerisch ist die konventionelle Schmei- chelhaftigkeit. Voll Schwulst und gezierten Redeweisen traben die gelehrten Ausdrücke dahin. Und das Schönste ist der barocke Schnörkel, in welcher sich die Feder gefällt. Die Kraft des Ursprungs verebbt, und der Gedanke wird wichtiger als das Bild. Das eben war ihre Tragik in dieser Zeit:
„Hochehrwürdiger, hochgeehrtester Superintendent!
Euer Hochehrwürden werden es mir gütigst verzeihen, wenn ich mich erdreiste, ihnen schriftlich beschwerlich zu werden . . . Zeitlebens wird es mit dem größten Danke erkennen, der sich die Ehre gibt zu unterzeichnen als Euer Höchehrwürden ganz gehorsamster
Friedrich Nehlsen Küster zu Gr. Berge. (1828)
Aber trotz allem ließ sich der Volksmund Humor, Witz und komische Derbheit nicht aus dem Herzen reißen. Um die gleiche Zeit macht er seinen Unmut in treffenden Reimen Luft:
..Wenn Bommerten un Bohmsen de Düwel wull holen, denn bruken de Berger keen Stürn to betolen.“
Bommert war 1817 Rittmeister und Patron auf Karwe, Bohms Dorfschulze zu Gr. Berge.
Wie das Schicksal es wollte, trat das gemütsinnige Platt hinter der stärkeren Schwester der Schriftsprache bescheiden zurück. Die Sprache entwickelt durch das Aufkommen der Zeitung einen eigenartigen Stil gedanklicher Reflexion:
Gr. Berge 1859: „Sogar die schönen Künste gehen bei dem Bauern betteln! In Gr. Berge hat im August 14 Tage lang eine Puppenspielerbande die kunstliebende Einwohnerschaft ergötzt, und in anderen Dörfern bringen Tanzlehrer den Fräulein Töchtern der Herren Kossäten die neuesten Pas bei. Welch civilisierte Generation hat die Zukunft zu erwarten!"
Was würde der Schreiber zu unserem heutigen Grundsatz sagen: „Die Kunst gehört dem Volke!" Sie ist aus ihm als dem Lebensboden hervorgegangen und kehrt zu ihm zurück. Nur Hermann Graebke besann sich auf den Klangwert der Mundsprache und formte mit ihrer Hilfe das Antlitz des Prignitzers in „Twee Pirower“ (siehe Heft 1. 1955).
Das ist das Schicksal der Sprache. 800 bis 1350 regierte das Lateinische, das als Amtssprache bindend war, 1350 bis 1550 war es das Platt, und nach 1550 gewann Luthers Schriftsprache die Oberhand.
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