verlesen worden waren, wurde regelmäßig sonntags und mittwochs geübt und exerziert.
Während der Landsturm in den westlichen Bezirken sich schon voll mit den ihm übertragenen Aufgaben befaßte und sogar mit Hilfe von Kosakentrupps von Havelberg aus Vorstöße über die Elbe unternahm und dort Spitzel und Spione aushob, aber auch Bauern und Tagelöhner mit Dreschflegeln und Wagenrungen wie in Blumenthal zur Selbstverteidigung übergingen, lag das Wüsterhausener Bataillon immer noch in Reserve oder Ruhe, exerzierte und übte.
Doch dann am 23. August, die Schlacht bei Großbeeren war im vollen Gange, der Kanonendonner war in Wusterhausen deutlich zu hören, wurde „Generalmarsch“ geschlagen. Die Franzosen, so hieß es, wären, von Magdeburg kommend, im Anmarsch. Sie wären bei Sandau über die Elbe gesetzt, wollten Berlin vom Norden her angreifen und diese Gegend hier besetzen. Vortruppen hätte man schon in Stüdenitz gesichtet. Jetzt, in dieser ernsten Stunde, trat bei den einzelnen Landstürmern eine allgemeine Kopflosigkeit ein. Einer konnte seinen Brotbeutel, der andere seine Stiefel und ein weiterer der alarmierten Männer sogar seine Pike nicht finden. Ein fürchterliches Abschiedsgeheul, so berichtet uns der Chronist, soll es gegeben haben. Frauen und Mädchen liefen ihren Männern und Söhnen nach, umarmten und küßten sie, heulten und schrien, gaben wohlgemeinte und gute Ratschläge, auch solche, wo und wie man sich verstecken und was man beten sollte, damit die feindliche Kugel nicht träfe. Mutter Hingsten wußte sogar von einer hohlen Weide irgendwo bei Stüdenitz, in der sich ihr Jochen verkriechen sollte, wenn die Franzosen schössen.
Wenn auch mit Verzögerung, so konnte sich der Haufen — mehr Räuberzivil als Militär — endlich in Bewegung setzen, um sich bei Schönermark, wie im Alarmfall vorgesehen, mit den anderen Teilen des Regiments zu vereinen. Je näher man dem Marschziel kam, je kleinlauter wurden die einzelnen Marschierer. Schließlich sprach keiner mehr ein Wort, jeder mag sich nur noch mit der nun bevorstehenden Gefahr beschäftigt haben.
In Stüdenitz war jedoch von einem Durchbruch der Franzosen und von einem Marsch auf Berlin nichts bekannt. Angeblich wäre ein Franzose gesehen worden, der sich aber fluchtartig in Richtung Elbe davongemacht hätte. Genaues, wo er gesehen worden sei und wie er ausgesehen habe, konnte jedoch niemand angeben. Als sich dann das Gerücht, das die Veranlassung zum Abmarsch gab, tatsächlich nicht bestätigte und auch die Siegesnachrichten von Großbeeren in Windeseile von Dorf zu Dorf getragen wurden, bestand kein Anlaß mehr, den Landsturm im Kriegszustand zu belassen. Man gab den Rückmarschbefehl. Aber wie doch so ganz anders gestaltete sich der Heimmarsch gegenüber dem Ausmarsch. Die Krüge und Materialhandlungen wurden gestürmt, Schnapsfiaschen gingen von Mund zu Mund. Es wurde geschrien und gesungen, viele rühmten sich ihres
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