Heft 
(1958) 3
Seite
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Mutes und ihrer Tapferkeit, die im Redeschwall von anderen Mitstreitern weit übertroffen wurde. Es war schwer, die Disziplin nur noch einiger­maßen aufrechtzuerhalten. Und der Kommandeur Jesse war nirgends zu finden. Erzählt wurde, daß er dem flüchtenden Franzosen nachgesetzt wäre.

Inzwischen mußte sich der Heimmarsch des Landsturms in Wusterhausen und in den anderen Gemeinden herumgesprochen haben. Frauen eilten ihren Männern entgegen, durchbrachen die Marschlinie, hakten sich ein und griffen wohl auch zu der ihnen gebotenen Schnapsflasche. Es war nur noch ein wüster, undisziplinierter Haufen, der schreiend und grohlend die Landstraße entlangzog, wobei die mitmarschierenden Frauen die Männer im Kreischen oftmals weit übertrafen. Der Sieg mußte gefeiert werden, und er wurde dann in den heimatlichen Krügen bis zur Bewußtlosigkeit weitergefeiert. Schlägereien blieben nicht aus, mit Stuhlbeinen wurde geschlagen, Biergläser flogen durch die Schankstube und durch die Fenster, und auch die eisenbeschlagenen Knüppel traten in Tätigkeit. 32 schwer- und leichtverletzte Mitstreiter der Schlacht bei Stüdenitz mußten, teils sogar mit lebensgefährlichen Verletzungen, in ihre Behausungen geschleift werden. Einige hatten dabei ihr Augenlicht verloren.

Ein neuer Einsatz des Wusterhausener Landsturms war auf Grund der weiteren kriegerischen Ereignisse nicht mehr erforderlich. Aber noch jahr­zehntelang wurde von dem 24stündigen Feldzug nach Stüdenitz und von den tapferen Streitern in den Krügen und den Spinnstuben erzählt und viel darüber gelacht.

Als einige Jahre nach Friedensschluß in Wusterhausen ein Kriegsteilneh­mertreffen aufgezogen wurde und die Krieger von weit und breit aus der näheren und weiteren Umgebung sich zu diesem Wiedersehen einfanden, war auch der ehemalige Kommandeur des 12. Landsturmbataillons, Jesse, zugegen. Und wie es bei solchen Zusammenkünften stets zuging, sprach man von gemeinsamen Erlebnissen, von überstandenen Strapazen und Gefahren, von Dennewitz, von Leipzig, Ligny, Paris, dazu wurde ge­trunken und ie Ereignisse oftmals verschönt und verherrlicht aus der Vergessenheit aufgefrischt. Einer der eifrigsten Erzähler hierbei war der Kommandeur Jesse. Er konnte es nicht unterlassen, immer und immer wieder'sich seiner Tapferkeit und seiner Umsicht in der Schlacht bei Stüde­nitz zu rühmen. Die Tischkameraden stießen sich an, zuckten mit den Achseln, von einer Schlacht bei Stüdenitz hatte bisher niemand etwas gehört. Ein bärtiger ehemaliger Jägerleutnant, geschmückt mit preußischen und russischen Ehrenzeichen, fragte darauf den Jesse bescheiden, wieviel Franzosen er denn vor sich gehabt, die er mit soviel Tapferkeit bekämpft hätte. Dem Jesse schien die Frage etwas unvermutet gekommen zu sein, aber trotzdem antwortete er im lauten Kommandoton:Einen!Und was war mit dem einen Franzosen? so ging das Wortspiel des Fragenden

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