Heft 
(1892) 70
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Deutsche Rundschau.

beschränkte sich aus eine Herrschaft über die Massen, wie sie kein anderer Revolutionsmann entsernt besessen, und auf einen Jnstinct für das augenblicklich Zweckmäßige und Mögliche, der sich bis zur Genialität erheben konnte. Wo es den ganzen Menschen einzusetzen, tödtlichen Gefahren die Stirn zu bieten, wild erregte Volksleidenschaften zu bändigen galt, bethätigte er eine Ueberlegenheit, die sich allgemeinste Anerkennung erzwang: ließ die Spannung nach und kam es auf die Lösung von Ausgaben an, die zähes Beharren, kalte und selbstsüchtige Be­rechnung erheischten, so versagte diese Kraft nur allzu leicht. Unvergleichlich bedeutender als die Summe seiner Leistungen glich dieser gigantische Plebejer durch seine Persönlichkeit aus, was ihm an sogenannten Qualitäten fehlteauch in diesem Stück dem großen Aristokraten ähnlich, der die alte Monarchie in Trümmer geschlagen hatte. An dem letzten Worte, das die Geschichte über Danton zu sagen hat, wird durch den Reichthum der natürlichen Anlagen dieses merk­würdigen Menschen freilich nichts verändert werden. Es sei denn, daß man in Anwendung des Wortes, nach welchemviel gefordert werden wird, wo viel gegeben worden", das unvermeidliche Verdammungsurtheil über Georges Danton verschärfen wollte.

I

Für Georges Jacques Danton's Kindheits- und Jugendgeschichte bilden die von seinen Freunden Baon und Rousselin de St. Albin hinterlassenen Aus­zeichnungen die einzige Quelle. Als Sohn eines wohlhabenden Pächters und Communalbeamten (proeursur äu bailwM) zu Arcis-sur-Aube in der Champagne am 26. October 1759 (dem Geburtsjahre Schiller's) geboren und früh des Vaters beraubt, erhielt er eine Erziehung, die von derjenigen anderer Kinder seines Standes wenig verschieden war. Mutter und Stiefvater (ein Krämer Recordin) waren brave, wenig gebildete Leute, die die Erziehung des wilden, hoch aufgeschossenen Knaben der Schulmeisterin, später der Lateinschule des Ortes überließen, um den Dreizehnjährigen dem Oratorianen - Collegium von Trohes anzuvertrauen. Geistige Befähigung und Gutartigkeit des langen Georges wurden allein durch seinen Hang zur Trägheit und zu wilden Streichen übertroffen. Daraus erklärte sich, daß eine Kuh die Lippe, ein Stier die Nase, eine wild gewordene Sau den Unterleib des Burschen zerrissen hatte, dessen ohnehin un­schönes Antlitz durch Blatternarben entstellt war, und daß derselbe das Lyceum von Trohes bereits nach kurzem Aufenthalte verlassen mußte, um in einer Laien­schule seiner Vaterstadt den Schulcursus zu beenden. Wegen seiner Offenherzig­keit und leichten Auffassung von den Lehrern, wegen zuverlässiger Kameradschaft von den Mitschülern gern gesehen, beendete der passionirte Kartenspieler und gelegentliche Umhertreiber (im Juni 1775 war er heimlich nach Rheims ent­wichen, um der Krönung Ludwig's XVI. zuzusehen) seine Lehrjahre über Er­warten glücklich: er wurde als Zweiter seines Jahrganges und als Inhaber einer ganzen Anzahl spielend erworbener Preise entlassen. Die Eltern, an denen er mit warmer Liebe hing und denen er zur Zeit einer Geldverlegenheit des Stief­vaters sein kleines Vermögen ohne Weiteres zur Verfügung stellte, wollten den talentvollen Jungen zum Priester machen, er selbst aber entschied sich für die