Danton:
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regung und der Meisterlosigkeit des Volks soll nichts übrig geblieben sein, als der Versuch, dieselbe durch Einrichtung einer revolutionären Justiz zu entwaffnen und gegenstandslos zu machen. Der außerordentliche Gerichtshof und die den Organen der Justiz ertheilten Anweisungen zu rücksichtsloser Verfolgung der Conspiranten sollten sich als die allein möglichen Mittel dargestellt haben, den täglich wiederkehrenden politischen Mordthaten auf offener Gasse vorzubeugen. Ein gewaltsames Auftreten gegen die noch immer zahlreichen, dem äußeren Feinde in die Hände arbeitenden Royalisten aber sei unvermeidlich gewesen, seit die Alliirten in den ersten Gefechten Sieger geblieben und seit allgemein erwartet wurde, dieselben vor den Thoren von Paris erscheinen zu sehen. — Die erste dieser beiden Ausstellungen bedarf keiner Widerlegung, weil sie durch die Tatsachen selbst widerlegt worden ist. Die Entwürdigung der in den Dienst schnöder Parteizwecke gezogenen Justiz wurde nicht zum Zügel, sondern zum Stachel der populären Mordwnth, die sich als Verbündete der Rechtspflege ansehen durfte, seit diese die Jacobinermütze aufgesetzt hatte.
Rücksichtlich des zweiten Punktes kann es sich nicht um mildernde Umstände. sondern allein um Erklärungen für die Maßregeln handeln, welche zu den Gefängnißmorden vom 2. und 3. September führten. Danton's häufig wiederholtes „man muß den Royalisten Furcht einjagen", bedeutet nichts weiter, als das Eingeständniß, daß die zur Beherrscherin des Landes gewordene Minderheit eben eine Minderheit war, und daß sie als solche Furcht vor der Mehrheit hatte. Daß diese Furcht sich schließlich als unbegründet erwies, gibt uns allerdings kein Recht, das Vorhandensein einer solchen zu leugnen oder die Berufung auf dieselbe für eine lügnerische Ausflucht zu erklären. Die Niederwerfung des ältesten und mächtigsten Thrones der Christenheit zählte erst nach Tagen. Sie bildete für die Sieger eine größere, in gewissem Sinne schrecklichere Ueberraschung als für die Besiegten, weil sie mit einer Kriegserklärung gegen das gesammte Europa gleichbedeutend zu sein schien, weil sie dreißig Millionen Franzosen über den Kopf weggenommen worden war, weil die Frage nach der Zukunft jeder Antwort entbehrte, und weil man es mit dem Anmarsch zweier mächtiger Heere zu thun hatte, von denen das eine für unbesiegbar galt. Sichere Rechnungen konnten die neuen Machthaber lediglich auf die wüste, blutdürstige Thatenlust des Pariser Pöbels gründen. Was aber war diese weiter als eine Fieberkrankheit, welche stündlich in einen Zusammenbruch aller Kräfte Umschlägen und einer Erschöpfung Platz machen konnte, wie der Trunkene sie empfindet, wenn der Rausch verflogen ist? Ein entscheidender Sieg der Alliirten, ein entschlossener Versuch der Royalisten, die ihnen gebliebenen, immer noch erheblichen Kräfte zusammenzufassen, und die Herrlichkeit der in Paris etablirten, von dem Lande mit starrem Schrecken aufgenommenen Republik sank in Asche, wie ein Bündel Reisig im Strohfeuer — ein Schlag gegen das revolutionäre Stadthaus, und die Marat, Robespierre und Genossen stoben in die blinde Flucht, zu welcher sie bereits am Vorabende des 10. August gerüstet hatten!
Diese durch die eigene Gewissensangst zu drohenden Gespenstern gemachten Befürchtungen geben die Erklärung für Danton's Verhalten in jenen Septembertagen, die einen unvertilgbaren Schandfleck in der französischen Geschichte be-