Heft 
(1892) 70
Seite
75
Einzelbild herunterladen

Shakespeare's Königsdramen von Richard II. bis zu Richard III.

75

in dem Gegensätze der Charaktere wurzelt. Eben weil Heinrich der ist, der er ist, muß er in so einer Zeit und Umgebung gestürzt werden, und weil Dort der ist, der er ist, muß er triumphiren. Je mehr wir ihre Eigentümlichkeiten ver­stehen, ist uns auch der Ausgang verständlich. Eins bedingt das Andere. Es ist nur die Frage, ob nicht eben das allzu Begreifliche auch unsere Theilnahme bei dem Ausgange wieder abschwächt. Der König dauert uns, wenn er sällt; aber dies Mitleid ist ein ziemlich geringschätziges. Und doch, wenn es nun über ihn hereinbricht, was er Wohl, wenn er ein anderer Mann wäre, hätte ver­hindern können und sollen, was aber nun nicht mehr zu ändern ist, und wenn er sich nun zum Widerstand ausrafft, aber zu spät, sollten wir dann nicht doch mit ihm empfinden? Auf der anderen Seite Jork, wenn er zur rechten Zeit das Richtige thut, um seinen Zweck zu erreichen, und sein Zweck doch nicht nur per­sönlicher Ehrgeiz, sondern zum Theil auch patriotischer Eifer über den Nieder­gang der großen Erfolge Englands in Frankreich ist, so muß uns dies nicht nur imponiren, sondern eine gewisse Befriedigung gewähren, wenn sie auch eine kühle und halbe bleibt gegenüber der sittlichen Rohheit, mit der er ohne moralische Scrupel und Zweifel vorgeht. Am Ende bleibt es Sache des Gefühls oder Geschmacks, wie viel wir von diesen widerstreitenden Eindrücken und Stimmungen abwechselnd mit einander voll in uns aufnehmen und ganz davon ergriffen sein können. Eine so volle, reine Gesammtwirkung wird nicht am Platze bleiben, wie wenn wir von Anfang bis zu Ende ein großes Schicksal mit dem Helden durcherleben, oder uns nur an der Eigenart der Charaktere ergötzen. Aber zu beidem ist hier auf einmal reichliche Gelegenheit.

Der dritte Theil von Heinrich VI. sällt gegen die fest in sich geschlossene Wirkung des zweiten sehr ab. Weder Charaktere noch Handlung verknüpfen sich zu einem kräftigen Zuge des Interesses. Gervinus behauptet zwar, daß beide Stücke durchaus von dem Gegensätze der Charaktere des Königs und Jork's be­herrscht werden. Er vergißt, daß Jork bereits im ersten Acte des dritten Stückes ermordet wird; König Heinrich zwar erst im letzten Acte, aber er tritt schon von Anfang an so völlig in den Hintergrund, daß Freund und Feind sich kaum noch um ihn kümmern. An seine Stelle tritt seine energische und entsetzlich blut­dürstige Frau für ihren Sohn, den Prinzen, an die Stelle Pork's treten seine Söhne, voran das tapfere Ungeheuer, der nachmalige Richard III. Mit diesen beiden Unmenschen wetteifern die Nebenpersonen in möglichst ebenbürtiger Wuth und Grausamkeit, so daß weder interessante Gegensätze derselben noch eine menschliche Theilnahme für sie aufkommen kann. Und die Handlung des Stückes erregt in ihrem Verlaufe ebenso wenig auch nur eine spannende oder gar befriedigende Ge­sammtwirkung. Es geschieht freilich ungeheuer viel, es wird gemordet, geheirathet, geschimpft und geflucht bis zur Ermattung. Wenn man das unter tragisch ver­steht, daß recht viel schreckliche Scenen sich vor den entsetzten Augen abspielen, so wird darin hier mehr geboten, als in irgend einer Tragödie; aber es hat sehr wenig inneren Zusammenhang. Es besteht aus lauter zufälligem Wechsel des Kriegsglückes. Es ist durchaus die in Scene gesetzte Chronik eines der blutigsten und zwecklosesten Bürgerkriege um die Herrschaft. Also das Ergebniß der Be­trachtung dieser drei Jugendarbeiten des großen Dramatikers und der Geschichte