Heft 
(1892) 70
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Deutsche Rundschau.

auch so angesehen hat. Er erwähnt auch die Bearbeitung desselben Stoffes durch Shakespeare und stellt sie in unbestimmten Ausdrücken dem seines Zeitgenossen als großes Gegenstück gegenüber; aber er sagt kein Wort darüber, daß sie von den Fehlern, die er an der anderen tadelt, frei sei. Vielleicht paßte es ihm nicht, da er sonst in der Dramaturgie die Tendenz verfolgt, Shakespeare's Kunst zu loben auf Kosten der Franzosen, welche die Regeln der Alten über Tragödie strenger als er beobachteten und den Zweck doch weniger erreichten, und dazu hätte allerdings seine Beurtheilung Richards III., wenn er sie auch auf den des großen Briten übertragen hätte, nicht gepaßt. Er ließ es also lieber.

III.

Lassen Wir dies damit auch auf sich beruhen, so kommen wir zu der anderen Hälfte der Reihe der Königsdramen, die Shakespeare nach der dramatischen Ge­schichte des eigentlichen Rosenkrieges und des Hauses Jork hinzugefügt und ihr als erste Hälfte des ganzen Werkes vorangestellt hat. Sie behandelt die ruhm­reiche Geschichte der Könige des Hauses Lancaster, fängt aber auch mit der des Sturzes ihres Vorgängers, Richard II., an. Von jener zu dieser Hälfte des Werkes, insbesondere von Richard III. zu Richard II., ist ein ungeheuerer Fort­schritt. Die Uebersülle des Stoffes, der Personen wie der Handlungen ist sehr reducirt; aber die Anordnung ist zu einfach reinen Kunstwirkungen gesteigert, und Richard II., also das erste Stück der ganzen fertigen Reihe, ist nach Bau und Wirkung eine rein classische und ergreifende Tragödie. Daneben bildet es frei­lich auch eine Art Einleitung zu allen folgenden Stücken; aber das hindert nicht die Einheit seiner Wirkung für sich allein.

Gervinus hebt mit Recht hervor, daß zwischen dem Inhalt dieses Stückes und der Geschichte Heinrich's VI. eine Art Parallelismus besteht, vermöge dessen der Sturz Richard's als ein Vorbild zu dem Heinrich's oder dieser nachher als die Wiederholung und Sühne erscheint; aber wieviel wirksamer ergreift uns nun hier die Tragik der gefallenen Größe. Richard II. und sein Vetter Bolingbroke, der erste König aus dem Hause Lancaster, Heinrich IV., stehen sich allerdings ähnlich gegenüber wie der Enkel des letzten Heinrich VI. und Port, der ihn be­seitigt, der eine weichlich, feinfühlend, haltlos, der andere praktisch, energisch, consequent; aber dieser Gegensatz ist um so viel seiner gehalten, daß beide weniger ausfallend und leichter verständlich werden und daß dadurch die Theilnahme für den Schwächeren, wenn er unterliegt, ebenso wie die Erkenntniß der Berechtigung des Stärkeren gesteigert, mit einem Worte die Handlung und das Schicksal zum durchschlagenden wirksamen Eindruck werden.

Richard II., der Sohn des schwarzen Prinzen, des früh verstorbenen berühm­ten Helden der Kriege in Frankreich, schön von Gestalt, feurig, geistreich, leicht erregbar, aber auch übermüthig und leichtsinnig, früh zur Regierung gekommen, von Oheimen bevormundet, von Schmeichlern und Günstlingen verzogen und verführt, ist kein tadelfreier Held, aber auch kein verächtlicher Mensch. Durch schlechte Wirtschaft hat er das Wohl des Landes vernachlässigt, in Krieg und Frieden zurück- und heruntergebracht; aber diese seine Verschuldung wird in den Hintergrund gedrängt durch denselben Kunstgriff wie in der Maria Stuart von